Die falsche Herrin
nassen Flungg nach ihm warf, wenn er nur den Kopf durch den Türspalt streckte. «Die wird dort in der Familienkapelle nur so andächtig knien, um an ihren Fingerchen die Edelsteine im Tabernakel überzählen zu können. Und überlegt, wie sie die Steine ausbrechen und im Beutelchen verschwinden lassen kann, mit einem Heiligenschein ums Gesicht. Daneben lässt sie sich schamlos mit Semmelbrot verwöhnen. Schwarzbrot ist ja für die feine Zunge viel zu grob. Sie lebt wie die Made im Speck.»
«Sie isst, unser Fädchen, um nicht hungers zu sterben. Und wir gönnen ihm jeden Zinken, den es dort verdrücken darf.»
«Ihr dummen Hühner!», ruft Joannes. «Waschen sollt ihr statt schwatzen!»
Anna Maria erschlägt die Pracht des Gartens. Am Wandelgang fließen Kletterrosen und Bougainvilleen von den Säulen zum Plattenboden. In Terrassen sinkt der Garten Stufe um Stufe zu einer Reihe von Zypressen hinab. Dunkel und scharf stehen sie vor der undeutlichen Tiefe. Kieswege rahmen die Rasenfelder. Gestutzte Buchsornamente halten das Ausschäumen der Blumen in Schach. Den Mittelpunkt der Terrassenfelder bildet eine Fontäne, die im Intervall in jede Richtung einen dünnen Strahl zum Himmel speit, filigran stürzt das Wasser im Bogen ins Auffangbecken zurück. Gelegentlich zerreißt ein Windstoß den Strahl der Fontäne. Aber wenn die Wasserfläche sich glättet, erscheint etwas wie eine chinesische Schrift. Der Brunnen spiegelt ihren in den Himmel geschriebenen Namen.
«Magnus hat mich dort oben eingetragen. Damit ich immer weiß, dass mir ein Stück von der Schöpfung gehört.»
Es ist das Paradies. Jeden Morgen liegt es ihr zu Füßen. Mit Ungeduld erwartet sie den Augenblick, da es ihr angemessen erscheint, sich von der Herrschaft zurückzuziehen.
«Mes études», sagt sie. Und drückt ein kleines Buch an die Brust.
Diese Worte, vielleicht auch die Innigkeit, mit der sie dieses Buch ans Mieder presst, erregen Wohlwollen, sogar ein wenig Bewunderung. Die Herrschaft wirft einen vorwurfsvollen Blick auf die eigenen Kinder, die sich über ihre Puppen und Holzpferde hermachen, als gäbe es keine nützlichere Beschäftigung. Der Gast auf Château Montlau durchquert kerzengerade den Korridor, und es scheint, als würden die Augen der Ahnen wohlgefällig auf ihr ruhen.
Sie schreitet gemessen über den Hof, hier einen Seufzer zum Schirm der Atlaszeder hinaufschickend, dort einen Augenblick innehaltend, um ihr Büchlein aufzuschlagen und eine Weile vors Gesicht zu halten, da einen Gruß zum Lipizaner Favory hinüberschickend. Einmal außerhalb des Blickfelds der großen Fenster, flattert sie mit ihren unzähligen Röcken zur Gartenbank, von der aus sie die Weinberge von Bordeaux überblicken kann. In ihrem Rücken verzweigt sich ein Fliederbusch. Dort sitzt sie ungestört. Dort macht sie ihre Etüden.
«In welcher Richtung liegt China?» Der Garten von Versailles ist göttlich. Aber nach Meinung von Magnus wird er von demjenigen des Kaisers von China übertroffen. Seltene vielfarbige Vögel gibt es darin und in Seide gehüllte Frauen.
Sie wecken in Magnus die Sehnsucht, ihre Haut mit der Spitze seiner Feder zu berühren und ihren Körper aus der Seide zu schälen. Eine unendliche Sehnsucht entfachen die fremden Frauen. «Und ich? So fern.»
Sie schaut. Sie sitzt. Sie könnte immer so schauen und sitzen.
Ob der Herr Papa das gnädige Fräulein abhole, will Sieur wissen.
«Das ist wahrscheinlich», gibt sie zur Antwort. Am besten ist es, sie wartet hier.
Sie neigt sich weit über die Zinne. In der Ebene zeichnen sich alle Wege ab. Die Dordogne zieht ihre Schlingen. Der Himmel spiegelt sich darin. Das Gleißen verwandelt den Fluss in einen Riss, der den Boden durchzieht. Sie sieht diesen Riss in der Welt, zu dem der Wind ein Rosenblatt weht, das nach langem Tanz in die Ritze fällt und verschwindet.
Das ist es, was sie sieht, wenn sie sich über die Zinne beugt. Dass die Welt einen Riss hat und es nur einen Luftzug braucht, damit ein Rosenblatt hindurch und aus der Welt heraus und ins Leere fällt.
«Woher nimmt Joannes’ Wäscherin das Recht, im Welschen an der Sonne die Füße zu kreuzen?»
«Sie nimmt es sich! Ob es ihm passt oder nicht!»
«Hat den Bottich überstiegen, vor den das Schwein Joannes sie nackt auf die Knie zwang. Gott hat ihr die Hand gereicht. Sie wurde ein Mensch mit Namen und Rechten. Ihr Umgang ist der allervornehmste. Sie verfügt über Bedienstete, trägt Roben und lässt sich in einer
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