Die falsche Herrin
erkennen, den Madame als zerrüttet und baufällig bezeichnet. «Es ist eine Ruine.» Sie bricht in Tränen aus. Er zwingt sie, in einer Ruine zu leben.
Am nächsten Morgen ruft sie Marmorschleifer, Ziseleure, Stuckateure nach Montlau. Sie will die Zimmer in Gold und Weiß.
Der Sieur ärgert sich, dass es die Farben von Versailles sein müssen. «Heute ist dieses Gold und Weiß noch ein Glaubenssatz. Morgen ist es ein Hirngespinst.»
Sieur schließt sich ins Chambre de Reflexion ein. Er weigert sich, bei Tisch zu erscheinen. Er sagt, dass der König ihn ruiniere, weil seine Frau jeden Taubendreck nach Versailles ausrichten müsse. «Der König ist nicht die Sonne. Wir sind nicht seine Vasallen.»
«Mais, mon cher!»
«Was ist er denn, wenn ein Kiesel genügt, die zweihunderteinundzwanzig Wasserpumpen seiner Maschine von Marly zum Stillstand zu bringen und Versailles in Dürre zurückzuverwandeln!»
Madame hat vom Weinen entzündete Augen. Sie ballt ihr Fazolet zusammen, reißt es wieder auseinander und glättet die Spitze über dem Knie. Clémence wird zur Tür des Chambre de Reflexion geschickt.
«Madame wird nerveuse. Sie zittert. Solche Reden!»
Aber am nächsten Tag rennt Madame wieder lachend und mit ausgebreiteten Armen den Damen der Gesellschaft entgegen und hält Cercle. Wie eine Dame d’honneur. Sie trägt einen feierlichen Ausdruck zur Schau, wenn die Damen der Gesellschaft mit ihr die Alliancen der Kinder besprechen. Babette hantiert mit ihren Schüsseln und Schöpflöffeln und jammert und klagt über schmerzende Gelenke vom Schlagen der Eier für die Plätzchen. Clémence balanciert auf der Leiter und holt das letzte noch saubere Geschirr aus dem obersten Fach des Schranks.
Nachts rauschen auf Montlau die Bäume auf, wenn ein Gewitter naht. Der Wind pfeift durch die Fensterritzen. In solchen Nächten steht Anna Maria auf, wandert im schweren Nachthemd aus Flanell durch die Galerie der Ahnen, überquert den Hof und steigt auf die Zinnen des Turms. Nirgendwo brennt ein Feuer. Nur die Flussschleife schimmert im Dunkel. Der Garten ist erloschen, sein Duft erstickt. «Wie viel wiegt ein Paradies, wenn es in der Nacht verschwindet? Wenn seine Pracht sich wandelt von Tag zu Tag? Wenn ich auf der Zinne stehe und traurig bin?»
Sie denkt an den Fliederhimmel einer längst vergangenen Nacht. Er hat die fahle Haut der Toten lila gefärbt. Ihre starren Augen, die Höhle ihrer Münder, ihre blutigen Kleider, die Krümmung der verrenkten Glieder, das herumliegende Gerümpel der Schlacht. Alles lila. Nur langsam, ganz langsam wich dieser Fliederton einem tiefen Blau. Dann erloschen die Glieder, Kleider, Gesichter, das Gerümpel, und es breitete sich undurchdringliches Schwarz aus. Doch die Sterne standen am Himmel, und Mücken sprühten auf in ihrem Licht. Sie konnte das harte Fell des Rosses unter den Fingern spüren und im Rücken das Beben eines anderen Rückens. Eine Stimme sprach von einer fernen Welt.
«Ob es eine Waage gibt, das Wunder dieser einen Nacht zu wiegen?»
Die Sicheln der Blitze zerfetzen kreuzweise den Himmel und erhellen die Fenster, den Turm, die Person auf der Zinne. Könnte die feurige Kritzelei das chinesische Zeichen für ANNA MARIA sein? Sie vergräbt das Gesicht in den Händen. Seit sie sechs Jahre alt war, hat sie nicht mehr geweint.
Unwetter ziehen über Europa. Die Gewitter sind im Südwesten besonders heftig. Flüsse steigen über die Ufer, die Bewohner retten sich aufs Dach, und ihre Habe dreht sich im Wasser von ihnen fort. Fünf Minuten des heftigen Gewitters genügen, um die Ernte zu vernichten.
Das Unglück trifft auch einige Weinberge der Seigneurie von Montlau. Die Dordogne zieht als braune, schäumende Flut durchs Tal und überschwemmt die Böden. Die Bewohner aus dem Dorf Moulon werfen Decken über den Kopf und eilen zum Château hinauf. Der Hagel hat die Weinstöcke zerzaust, und der Regen hat den Boden ausgeschwemmt. Selbst die Kinder der Weinbauern sind zu den Reben geeilt, um geknickte Schöße und verhagelte Beeren wegzuschneiden und die Stöcke aufzubinden.
Im Château flackert nächtelang eine Kerze.
Des Sieurs Cayer der gröbsten Missstände wächst. Naturkatastrophen sind unsere Geißel, schreibt er. Die Kassen für eine Überbrückung der gröbsten Not sind leer. Die Bewohner verarmen. Wir müssen die Verwaltung an die Dörfer zurückgeben. Die Bewohner sollen ihre Beamten frei wählen können.
Der Sieur notiert eine Ungeheuerlichkeit um die andere.
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