Die falsche Tochter - Roman
erste Cellostunde, ihr erstes Konzert, ihre erste Ausgrabung. Der Tod ihres Großvaters väterlicherseits. Ihre erste sexuelle Erfahrung. Das Datum ihres College-Abschlusses. Das Jahr, in dem sie ihre erste eigene Wohnung bezogen hatte. Berufliche Höhepunkte, ihr Staatsexamen, signifikante körperliche Verletzungen und Krankheiten. Das Jahr, in dem sie Leo und Rosie kennen gelernt hatte, ihre kurze Affäre mit einem Ägyptologen. Der Tag, an dem sie Jake kennen gelernt hatte. Wie hatte sie das nur vergessen können?
Dienstag, 6. April 1998
Callie hatte sich damals auf den ersten Blick in ihn verliebt. Sie hatten die Hände nicht mehr voneinander lassen können, wenn sie sich in dem kleinen, voll gestopften Zimmer in Yorkshire trafen, wo sie damals eine mesolithische Grabungsstätte studierten. Im Juni desselben Jahres zogen sie bereits zusammen und waren ab da unzertrennlich. Wenn einer von ihnen nach Kairo oder Tennessee reisen musste, fuhr der andere unweigerlich mit. Sie stritten und liebten sich leidenschaftlich, überall auf der Welt. Callie erinnerte sich an das Datum ihrer Hochzeit, an den Tag, als Jake sie verließ. Daran, wie sie die Scheidungspapiere erhalten hatte. Das alles war ziemlich schnell gegangen.
Dann rief sie sich kopfschüttelnd zur Ordnung. Sie wollte ihr Leben dokumentieren, nicht ihr gemeinsames Leben mit Jake. Sie tippte das Datum ihrer Promotion ein, dann das Datum des Tages, an dem sie zu Leo nach Baltimore gefahren war, ihren ersten Tag bei dem Projekt, durch das sie Lana Campbell kennen gelernt hatte. Der Tag, an dem Jake eingetroffen
war. Der Tag, an dem Suzanne Cullen sie in ihrem Hotelzimmer aufgesucht hatte. Ihre Fahrt nach Philadelphia, die Rückkehr. Dann hatte sie Lana engagiert und mit Jake zu Abend gegessen. Ihr Rover war beschmiert worden. Der Mord an Dolan. Gespräch mit Doug, Sex mit Jake, Blutuntersuchungen, der erste Besuch bei den Simpsons.
Stirnrunzelnd konsultierte Callie ihren Terminkalender und trug die Daten ein, an denen die einzelnen Teammitglieder sich ihnen angeschlossen hatten. Dann der Tag, an dem jemand auf Jake geschossen hatte, der Flug nach Atlanta, der Brand. Gespräche mit Dr. Blakelys Witwe und Betsy Poffenberger. Bill McDowells Tod, dann die erneute Fahrt nach Virginia.
Nachdem Callie die Ereignisse zusammengestellt hatte, versuchte sie feststellen, ob und wie die einzelnen Ereignisse miteinander in Beziehung standen. Eine Zeit lang beschäftigte sie sich damit, die Daten Oberbegriffen zuzuordnen: Ausbildung, Medizinisches, Berufliches, Persönliches, Antietam-Creek-Projekt, Jessica.
Als sie fertig war, lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück. Sie stellte fest, dass es von dem Tag an, an dem sie Jake kennen gelernt hatte, eine Verbindung zwischen ihm und jedem wichtigen Punkt in ihrem Leben gab. Selbst an ihrer Doktorarbeit war er in gewisser Weise beteiligt gewesen, denn sie hatte sich mit großer Vehemenz hineingestürzt, um nicht ständig an Jake denken zu müssen. Und jetzt half er ihr bei dem Versuch, ihre wahre Identität zu klären.
Geistesabwesend griff sie nach einem Plätzchen, musste jedoch feststellen, dass die Tüte auf dem Schreibtisch leer war.
»Ich habe einen geheimen Vorrat in meinem Zimmer«, ertönte in diesem Moment Jakes Stimme.
Erschreckt fuhr Callie herum. Jake lehnte am Türrahmen.
»Verdammt noch mal, schleich nicht ständig herum und spionier mir nach!«
»Kann ich etwas dafür, dass ich mich mit der Anmut eines Panthers bewege? Außerdem stand deine Tür offen, und in einer
offenen Tür zu stehen ist kein Spionieren. Woran arbeitest du da?«
»Das geht dich nichts an.« Callie speicherte die Datei und schloss sie.
»Du bist nur so gereizt, weil du keine Plätzchen mehr hast.«
»Mach die Tür zu.« Sie knirschte mit den Zähnen, als er ihrer Aufforderung auf der Stelle nachkam. »Ich meinte, von der anderen Seite.«
»Dann hättest du dich exakter ausdrücken sollen. Warum machst du kein Mittagsschläfchen?«
»Weil ich keine Dreijährige bin.«
»Du bist erschöpft, Dunbrook.«
»Ich muss arbeiten.«
»Wenn du am Ausgrabungsbericht gesessen hättest, hättest du die Datei nicht so eilig geschlossen, damit ich sie nicht sehen kann.«
»Es ist etwas Persönliches, das dich nichts angeht.«
»Du bist ziemlich fertig, Baby, nicht wahr?«
Bei dem weichen Klang seiner Stimme rutschte ihr der Magen bis zu den Knien. »Sei nicht so nett zu mir. Das macht mich wahnsinnig. Ich weiß dann nie, was ich tun
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