Die falsche Tochter - Roman
Genauso, wie er sich monatelang eingeredet hatte, dass sie schon wieder angekrochen käme. Das war dumm von ihm gewesen, wie er jetzt zugeben musste. Callie kam nicht gekrochen, das zumindest hatten sie gemeinsam. Und mit der Zeit hatte Jake eingesehen, dass vielleicht auch er Fehler gemacht hatte.
Natürlich war es Callie gewesen, die sich von ihm getrennt hatte, aber seine Einsicht verlieh ihm den Mut, von neuem auf sie zuzugehen. Schließlich fühlten sie sich beide noch voneinander angezogen, und das Antietam-Projekt bot ihm die Möglichkeit, es noch einmal zu versuchen. Er würde alles tun, um sie zurückzugewinnen. Und Callie würde ihm schon erzählen, was sie bekümmerte, und wenn er sie dafür festbinden und es aus ihr herauspressen musste.
Der Morgen dämmerte bereits, als sich Callie in ihr ehemaliges Bett legte. Sie schlang die Arme um das Kopfkissen, so wie sie es schon als Kind getan hatte, wenn sie irgendetwas bedrückte, und schloss die Augen. Sie war physisch und emotional dermaßen erschöpft, dass sie sofort einschlief. Vier Stunden später erwachte sie davon, dass die Haustür zugeschlagen wurde und jemand fröhlich ihren Namen rief.
Einen Moment lang war sie wieder das kleine Mädchen, das sich am Samstagmorgen ins Bett kuschelte, bis ihre Mutter nach ihr rief. Auf dem Frühstückstisch würden Cornflakes und eine Schüssel mit frischen Erdbeeren stehen, und wenn ihre Mutter nicht hinsähe, würde Callie heimlich noch ein wenig Zucker darüber streuen.
Sie wälzte sich auf die andere Seite. Ihr ganzer Körper schmerzte, und der Druck auf ihrer Brust machte ihr nur zu deutlich klar, dass sie kein kleines Mädchen mehr war, dessen größte Sorge darin bestand, wie es heimlich seine Erdbeeren nachsüßen konnte. Sie war eine erwachsene Frau. Und sie wusste nicht, wessen Kind sie war. Langsam richtete sie sich auf, setzte sich auf die Bettkante und stützte den Kopf in die Hände.
»Callie!« Vivians Stimme klang hell vor Entzücken, als sie ins Zimmer trat. »Baby, wir hatten ja keine Ahnung, dass du nach Hause kommst. Ich war so überrascht, als ich dein Auto in der Einfahrt stehen sah.«
Sie umarmte Callie und strich ihr mit der Hand über den Kopf. »Wann bist du denn gekommen?«
»Gestern Abend«, erwiderte Callie mit gesenktem Blick. Sie war nicht in der Lage, ihrer Mutter in die Augen zu blicken. »Ich dachte, ihr wärt in Maine.«
»Das waren wir auch, aber wir haben beschlossen, schon heute und nicht erst am Sonntag nach Hause zu fahren. Dein Dad hat sowieso ständig an seinen Garten gedacht, und außerdem muss er am Montag den ganzen Tag ins Krankenhaus.« Vivian hielt inne und legte die Hand unter Callies Kinn. »Was ist los, Baby? Geht es dir nicht gut?«
Sie hat braune Augen, dachte Callie. Aber sie waren dunkler als ihre eigenen, und sie passten so wundervoll zu dem rosigen Teint und den weichen, lockigen Haaren ihrer Mutter. »Ich bin nur ein bisschen groggy«, sagte sie schließlich. »Ist Dad auch da?«
»Ja, natürlich. Er wollte nur noch rasch nach seinen Tomatenpflanzen schauen, bevor er das restliche Gepäck hereinbringt. Süße, du siehst schrecklich blass aus.«
»Ich muss mit dir reden. Mit euch beiden.«
Ich will nicht, ich will nicht, schrie sie innerlich, stand jedoch entschlossen auf. »Rufst du bitte Dad? Ich wasche mir nur rasch das Gesicht.«
»Callie, du machst mir Angst!«
»Bitte. Ich bin gleich fertig und komme dann sofort herunter.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte Callie ins Badezimmer. Dort stützte sie sich auf den Rand des Waschbeckens und atmete tief durch. Ihr war leicht übel. Sie drehte den Wasserhahn auf, ließ das Wasser so lange laufen, bis es eiskalt war, und wusch sich das Gesicht. Als sie sich wieder aufrichtete, vermied sie es, in den Spiegel zu sehen.
Vivian wartete unten in der Diele auf sie. Sie hielt die Hand ihres Mannes fest umklammert. Wie groß er doch ist, dachte Callie. So groß, schlank und gut aussehend. Sie sind das perfekte Paar – Dr. Elliot Dunbrook und seine hübsche Frau Vivian. Doch sie hatten Callie ihr Leben lang angelogen, an jedem einzelnen Tag.
»Callie, du hast deine Mutter sehr beunruhigt.« Elliot trat auf sie zu und schloss sie in die Arme. »Was ist denn mit meinem Mädchen los?«, fragte er.
Callie traten unwillkürlich die Tränen in die Augen. »Ich habe euch heute noch nicht zurückerwartet.« Sie löste sich von ihm. »Ich dachte, mir bliebe mehr Zeit, um mir zurechtzulegen, wie ich es
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