Die falsche Tochter - Roman
richtete sich wieder auf und zwang sich, die ärztlichen Berichte noch einmal durchzulesen. Und in diesem Moment erkannte sie, dass es die Realität war.
»Was zum Teufel heißt das, sie hat sich einen Tag freigenommen?« Jake schob seinen Hut zurück und blickte Leo finster an. »Wir müssen das Gelände vermessen, und sie nimmt sich Urlaub?«
»Sie sagte, es sei ihr etwas dazwischen gekommen.«
»Was kann denn wichtiger sein als ihre Arbeit, verdammt noch mal?«
»Das hat sie mir nicht gesagt. Im Übrigen weißt du genauso gut wie ich, dass es ihr gar nicht ähnlich sieht. Normalerweise schuftet sie wie ein Stier.«
»Ja, ja. Aber es sähe ihr schon ähnlich, das Projekt sausen zu lassen, nur weil ich dazugestoßen bin.«
»Nein, das stimmt nicht.« Leo tippte Jake mit dem Finger auf die Brust. »Du weißt verflucht gut, dass Callie solche Spielchen nicht spielt. Wenn sie ein Problem mit dir hat – oder mit mir, weil ich dich geholt habe –, dann regelt sie das schon. Aber mit dem Projekt hat das gar nichts zu tun. Dazu ist sie viel zu professionell und auch viel zu eigensinnig.«
»Okay, du hast mich überzeugt.« Jake steckte die Hände in die Taschen und blickte über das Feld, mit dessen Aufteilung sie begonnen hatten. In Wahrheit hatte er sich nur so aufgeregt, weil er sich Sorgen um Callie machte. Irgendetwas hatte am Vorabend nicht mit ihr gestimmt, das hatte er gespürt. Aber anstatt sie zu überreden, ihm zu erzählen, was sie bedrückte, war ihm sein eigener Stolz wichtiger gewesen. Nun ja, alte Gewohnheiten legte man nur schwer ab.
»Würde sie dir eigentlich sagen, wenn mit ihrer Familie irgendwas nicht in Ordnung wäre?«, fragte er nach einer Weile.
Leo rieb sich den Nacken. »Ich glaube schon. Aber sie hat nur gesagt, dass sie eine persönliche Angelegenheit erledigen müsse, die keinen Aufschub dulde. Wenn sie es schafft, kommt sie heute Abend noch wieder, sonst morgen früh.«
»Hat sie einen Freund?«
»Graystone –«
»Bitte, Leo, mach es mir nicht so schwer«, sagte Jake leise. »Also, hat sie nun einen Freund?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Sie redet mit mir nicht über ihr Liebesleben.«
»Clara wüsste es bestimmt. Wenn sie etwas wissen will,
kann ihr keiner widerstehen. Und Clara würde es dir bestimmt erzählen.«
»Wenn es nach Clara ginge, wäre Callie noch mit dir verheiratet.«
»Ach ja? Deine Frau ist sehr klug. Spricht sie jemals über mich?«
Leo starrte ihn ausdruckslos an. »Wir reden jeden Abend beim Essen über dich.«
»Du weißt, dass ich Callie gemeint habe. Meine Güte, Leo, quäl mich doch nicht so!«
»Was Callie so über dich von sich gibt, möchte ich nicht wiederholen. Es entspricht nicht meine Ausdrucksweise.«
»Süß.« Jake blickte zum Teich, die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen. »Aber ganz egal, was sie über mich sagt und denkt – wenn sie Probleme hat, hole ich sie da heraus.«
»Wenn du so an ihr interessiert bist und dir so viele Gedanken über sie machst, warum zum Teufel hast du dich dann scheiden lassen?«
Jake zuckte die Schultern. »Gute Frage, Leo. Verdammt gute Frage. Wenn ich es herausgefunden habe, werde ich dich sofort informieren. In der Zwischenzeit machen wir uns besser an die Arbeit, egal, ob die Chefarchäologin nun da ist oder nicht.«
Als Jake Callie kennen gelernt hatte, hatte er sich auf den ersten Blick in sie verliebt, und seitdem teilte er sein Leben in Gedanken in die Zeit vor und die Zeit nach Callie Dunbrook ein. Irgendwie war es erschreckend und ärgerlich zugleich. Er war damals dreißig und ungebunden gewesen und hatte die Absicht gehabt, es auch zu bleiben. Jake liebte seine Arbeit. Und er liebte die Frauen. Und wenn ein Mann seine beiden Lieben miteinander kombinieren konnte, dann war das der Himmel auf Erden. Gott, wie hatte er Callies gemeine Ader geliebt! Der Sex mit ihr war genauso faszinierend und leidenschaftlich gewesen wie ihre Streitigkeiten. Aber sein Problem hatte er
nicht lösen können: Je mehr Jake von Callie besessen hatte, desto mehr hatte er gewollt. Sie schenkte ihm ihren Körper und ihren Verstand, sie war seine Gefährtin – aber sie hatte ihm nie vertraut. Weder darauf, dass er bei ihr blieb, noch dass er ihr bei ihren Problemen half. Und ganz gewiss hatte sie nicht auf seine Treue vertraut.
Noch Monate nachdem sie ihn zum Teufel gejagt hatte, tröstete er sich damit, dass ihr offensichtlicher Mangel an Vertrauen die Ehe ruiniert hatte.
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