Die falsche Tochter - Roman
euch sagen soll. Aber jetzt muss es eben so gehen.«
»Callie, steckst du in Schwierigkeiten?«
Sie blickte ihren Vater an. In seinem Gesicht stand nur Liebe und Sorge. »Ich weiß nicht«, erwiderte sie und ging voraus ins Wohnzimmer.
Ein perfekt eingerichteter Raum für wohlhabende Menschen mit Geschmack, dachte sie. Sorgfältig ausgesuchte und gepflegte Antiquitäten. Komfortable Sessel in den warmen Farben, die ihre Eltern so liebten. Elegantes altes Kristall, Kunstdrucke an den Wänden. Auf dem Kaminsims standen Familienbilder, bei deren Anblick Callie das Herz schmerzte.
»Ich muss euch etwas fragen …« Callie brach ab. Nein, sie durfte ihnen nicht den Rücken zuwenden. Was auch immer sie von den beiden erfahren würde, sie verdienten es, dass sie ihnen
dabei in die Augen sah. Sie holte tief Luft und wandte sich um.
»Ich muss euch fragen, warum ihr mir nie gesagt habt, dass ich adoptiert bin.«
Vivian gab einen erstickten Laut von sich. Ihre Lippen zitterten. »Callie, wo hast du –«
»Bitte, streite es nicht ab. Bitte nicht.« Sie bekam die Worte kaum heraus. »Es tut mir Leid, aber ich habe mir die Unterlagen angesehen.« Callie blickte ihren Vater an. »Ich habe die verschlossene Schublade aufgebrochen und die medizinischen Berichte und die Adoptionspapiere gelesen, die in der Metallkassette liegen.«
»Elliot!«
»Setz dich, Vivian. Setz dich hin.« Elliot führte seine Frau zu einem der Sessel. »Ich konnte die Papiere nicht vernichten.« Er strich Vivian über die Wange, als sei sie ein verängstigtes Kind. »Es wäre nicht richtig gewesen.«
»Aber es war richtig, mir meine Herkunft vorzuenthalten?«, fragte Callie.
Elliot ließ die Schultern sinken. »Das hatte für uns keine Bedeutung.«
»Hatte keine …«
»Du darfst deinem Vater keinen Vorwurf machen.« Vivian griff nach Elliots Hand. »Er hat es für mich getan. Er musste es mir versprechen, sogar schwören. Ich brauchte …«
Plötzlich begann sie zu weinen. Die Tränen strömten ihr übers Gesicht. »Du darfst mich nicht hassen, Callie. Oh Gott, bitte, du darfst mich deswegen nicht hassen. In dem Moment, als ich dich im Arm hielt, warst du mein Baby. Nichts sonst zählte.«
»War ich der Ersatz für das Baby, das du verloren hast?«
»Callie!« Elliot trat einen Schritt vor. »Sei nicht grausam.«
»Grausam?« Wer war dieser Mann, der sie so traurig und zornig zugleich anblickte? Wer war ihr Vater? »Du wirfst mir Grausamkeit vor, nach allem, was ihr mir angetan habt?«
»Was haben wir dir denn schon angetan?«, erwiderte er aufgebracht. »Nun gut, wir haben es dir nicht erzählt. So
schlimm kann das doch nicht sein. Zunächst brauchte deine Mutter die Illusion. Sie war untröstlich, als sie erfuhr, dass sie nie mehr ein Kind würde gebären können. Und als sich die Chance bot, dich zu adoptieren – eine Tochter zu bekommen –, ergriffen wir sie. Wir liebten dich von der ersten Sekunde an, und zwar nicht, weil du wie unser Kind bist, sondern weil du unser Kind bist.«
»Ich konnte den Verlust dieses Babys nicht ertragen«, schluchzte Vivian. »Ich hatte zwei Fehlgeburten gehabt, und ich hatte alles dafür getan, dass dieses Kind gesund auf die Welt kam. Ich wollte nicht, dass irgendwer auf die Idee kam, du seiest ein Ersatz. Also sind wir hierher gezogen, um noch einmal ganz von vorn anzufangen. Nur wir drei. Und alles andere habe ich verdrängt. Es ändert nichts daran, wer du bist. Aber es ändert auch nichts daran, wer wir sind oder wie sehr wir dich lieben.«
»Ihr habt ein Kind auf dem Schwarzmarkt gekauft. Ihr habt ein Kind gekauft, das einer anderen Familie gestohlen wurde, und das soll nichts ändern?«
»Was redest du da?« Elliot stieg Zornesröte ins Gesicht. »So etwas Gemeines darfst du nicht sagen. Was immer wir auch getan haben, das haben wir nicht verdient.«
»Ihr habt eine Viertelmillion Dollar bezahlt!«
»Das stimmt. Mit Geld kann man eine private Adoption beschleunigen. Das mag weniger begüterten Familien gegenüber unfair sein, aber ein Verbrechen ist es nicht. Wir haben der Summe zugestimmt und waren einverstanden damit, dass die biologische Mutter entschädigt wird. Wenn du dich aber hinstellst und sagst, wir hätten dich gekauft, dich gestohlen , beschmutzt du damit alles, was wir als Familie jemals waren.«
»Willst du gar nicht wissen, warum ich hergekommen bin und heimlich deine Unterlagen durchsucht habe?«
Elliot fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dann setzte er sich.
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