Die Falsche Tote
dachte Ragnar, doch er zögerte, dem Mann mehr zu verraten, nur um damit eine Reaktion hervorzurufen. »Dann haben wir noch eine junge Frau, von der wir aber den Namen nicht kennen.«
78
Im Wagen glitten sie langsam auf dem Djurgårdsvägen dahin. Die Straße führte am Südufer der Insel entlang. In unregelmäßigen Abständen deutete sich die Fassade einer Villa zwischen den Bäumen an, und manchmal schimmerte rechts das mondbeschienene Wasser. Alles war still. Seit Waldemarsudde war ihnen kein Auto mehr entgegengekommen. Dort hatten Pers Leute in den beiden Transits an der Endstation der Buslinie 47 am Straßenrand gehalten, um zu warten.
Jernbergs Haus lag ganz hinten an der Ostspitze von Djurgården in Ekudden. Sofi saß allein auf der Rückbank des nachtschwarzen Volvos und hatte den Computer neben sich aufgebaut. Darauf betrachtete sie ein Luftbild der Gegend. Es war irgendwann im letzten Jahr an einem schönen Sommertag aufgenommen worden. Aus dem Privathafen ganz in der Nähe des Hauses fuhren gerade zwei Motorboote aufs offene Wasser hinaus, und eine große Fähre passierte die Enge zwischen Djurgården und Nacka.
Vorne im Wagen saßen Kjell und Henning. Der hatte Ausdrucke der Klara-Bilder aus Davids Wohnung auf dem Schoß liegen und versuchte, den Bildhintergrund mit dem Blick aus dem Fenster in Einklang zu bringen. Obwohl der Vollmond auf Djurgården und das Wasser herableuchtete, war jenseits davon das Felsufer von Nacka nur als schwarzer Schatten mit vereinzelten Lichtern zu erkennen. So war es meistens. Die hohen Felsen von Nacka und Södermalm hatten am Tag die Sonne hinter sich. Wenn man von Kungsholmen oder der Innenstadt aus auf diese südlichen Inseln blickte, lagen sie für gewöhnlich als schwarzer Streifen da, der Himmel und Wasser trennte.
Das war auf den Klara-Bildern nicht so. Man sah das Ufer mit der Fabrikanlage und ihren Kühltürmen ganz farbig und räumlich, wenn auch nur winzig und nicht immer scharf. Die Aufnahmen mussten zu einer ganz bestimmten Tageszeit entstanden sein. Auf den Bildern war es Frühling oder Sommer. Henning hatte auf den Sommer gesetzt, wegen des Grüns der Blätter, und weil man keine Blüten sah. Leider war bei der Kamera das Datum nicht eingestellt und zeigte den 1.1.2002 um Mitternacht. Auf der Festplatte des Computers waren die Bilder erst Mitte Juli gelandet.
»Mittsommer.«
Das Wort schwamm auf dem Brummen des Motors wie ein Schlauchboot auf dem schaukelnden Meer.
»Jetzt ist kein Mittsommer, Henning«, flüsterte Sofi von hinten, und man hörte, dass sie dabei lächelte.
»Wisst ihr, was mit den Bildern nicht stimmt? Das Licht. Das gibt einem doch sofort ein merkwürdiges Gefühl, wenn auf einem Bild das Licht nicht stimmt.«
Sofi steckte ihr Gesicht zwischen den beiden Vordersitzen hindurch. »Eine Montage?«
Henning drehte den Kopf nach links und war Sofis Nase ganz nah. »Nein. Die Bilder sind in den Nächten um Mittsommer entstanden. Die Sonne schimmert über den Nordpol hinweg auf die Nordküste von Nacka.«
»Das festliche Kleid des Mädchens«, warf Sofi ein. »Das könnte wirklich an Mittsommer gewesen sein.«
»Genau. Die Digitalkamera hat das Licht aufgehellt und verfälscht, deshalb sieht es aus, als wäre das Foto bei Tage gemacht worden. Eigenartig ist, dass auf dem Computer sonst nichts gespeichert war außer diesen Bildern. Die nichtssagende Wohnung eines alten Mannes und mittendrin ein Computer mit den Bildern.«
»Das ist so ähnlich wie mit der Schriftart«, sagte Kjell.
»Also wie eine Schatzjagd?«
Henning drehte sich wieder zu Sofi. »Ja, aber was ist der Schatz und wer ist der Jäger?«
»Die Schrift richtet sich nur an Klara«, antwortete Kjell bestimmt. »Darüber denke ich die ganze Zeit nach. Ich frage mich, ob die Schrift überhaupt eine Bedeutung hat. Vielleicht führt sie uns auf eine falsche Fährte.«
Henning brummte. »Vergiss nicht, dass uns auch die Kartenabrechnung zur Agentur geführt hat.«
Sofi ließ sich laut in die Lehne zurückfallen. »Ich finde es wichtiger, dass David all diese Hinweise gegeben hat, bis hin zum Toten im Park. In allen Fällen waren wir es, die die Hinweise gefunden haben.«
»Und in allen Fällen haben vielleicht auch andere davon erfahren.« Henning raschelte mit dem Blätterstapel auf seinem Schoß. »Daraus können wir vielleicht schließen, dass David nicht genau voraussehen konnte, wem die Hinweise in die Hände fallen würden.«
»Er könnte auch mehrere im Blick gehabt
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