Die Falsche Tote
zu töten.«
»In der Schrift könnte vielleicht auch eine Botschaft liegen«, wandte Barbro ein.
Das glaubte Kjell nicht. »Die Zettel sind zu alt. Wenn sie eine Botschaft sind, dann nicht an uns.«
»An den Empfänger!«, rief Sofi. »An wen denn sonst?«
»Das liegt eigentlich nahe, wenn man bedenkt, dass es Briefe sind.«
»Ja«, sagte Henning. »Briefe sind potenziell in der Lage, eine Botschaft an den Empfänger zu enthalten. Wenn man recht überlegt.«
Sofi lächelte.
»Und dann bleibt noch eine Frage offen«, fuhr Henning fort. »David und Josefin haben sich umständlich Geld besorgt, obwohl es riskant war. Zugleich saß Klara mit einer halben Million in Josefins Wohnung. Es kann also keinen Kontakt gegeben haben. Warum hatte Aisakos keinen Kontakt zu seiner Hesperia?«
»Eine Frage liegt noch weit davor«, fand Kjell. Die anderen sahen ihn fragend an. »Ich meine den Grund für das alles. Die eigentliche Ursache. Von wem geht alles aus?«
»Von Klara und David«, sagte Sofi, nachdem alle geschwiegen hatten. »Sie haben sich an Josefin gewendet, weil sie die Tochter des Justizkanzlers ist.«
Darauf folgte erneut Schweigen.
»Nein«, sagte Kjell dann irgendwann. Er war selbst erstaunt, wie entschieden es aus ihm hervorbrach. »Das Sozi-Mädchen Saga Isaksson hat erzählt, dass Klara über eine andere Person auf sie gekommen ist. Und diese Person ist Josefin. Josefin Rosenfeldt ist der Beginn von allem.«
Barbro hielt ein Stück Papier hoch. »Vielleicht kann uns das hier helfen. Auf Stavros Jernbergs Meldebogen gibt es einen U1-Vermerk.«
76
Dann wollen wir mal sehen, murmelte Barbro und ratterte mit dem Zeigefinger über alle zwölf Lichtschalter. Zwölf fünfzig Meter lange Bahnen von Neonröhren flackerten auf. Vor ihr lagen mehrere tausend Quadratmeter Archiv. Barbro schlenderte zwischen den ersten beiden Regalreihen entlang. Sogleich stellte sich das schöne Ikea-Gefühl ein, wenn man das Regal im Abhollager sucht, das man sich zuvor in der Ausstellung ausgewählt hat. Barbro war zwar selbst noch nie dort gewesen, konnte es sich aber gut vorstellen.
J-997-1984. Sie war ja schon einmal hier gewesen und hatte eine grobe Orientierung über die Anordnung der Akten. Das war gleich an dem Tag gewesen, als sie zur Kriminalpolizei versetzt worden war. Barbro war ins Archiv gegangen, um mit Hilfe von Akte S-163-1990 noch einmal das geglückte Wochenende vom 18. August 1990 Revue passieren zu lassen. Papas schrottreifer Mercedes am Kungsträdsgården, ihre zweite und letzte Dauerwelle. Sie war Madonna modisch immer schon einen Schritt voraus gewesen, und was Männer anging, natürlich auch. Den Führerschein hatte sie dann erst vier Jahre später machen dürfen, und obwohl sie ja mit sechzehn schon Fahrpraxis gesammelt hatte, waren es dann doch fünf geworden, weil sie einmal durchgefallen war.
In Schlangenlinien umrundete sie vier Regalreihen, bis sie die Stelle fand. Diese Akten wurden in Verwahrung genommen, sobald der Protagonist die Volljährigkeit erreichte, und normale Polizisten erfuhren bei einer Kontrolle nichts davon. Die Kriminalpolizei wurde allerdings über einen U1-Vermerk darauf hingewiesen, doch mal hier unten nachzusehen.
Jugendakten hatten einen wunderbaren Vorzug. Es gab darin stets ein psychologisches Gutachten, das mit einer Biografie begann. Barbro zog sich scheppernd das Höckerchen ans Regal und streckte sich nach dem Karton 997. Stavros Jernberg hatte eine sehr dicke Akte. Das war erstaunlich, wenn man bedachte, dass er seit seinem sechzehnten Lebensjahr überhaupt nicht mehr mit der Polizei in Berührung gekommen war.
Nachdem sie drei Zeilen gelesen hatte, fand sie die Erklärung dafür, warum er Stavros hieß und in Athen geboren war.
Er war nicht der Sohn von Yngve Jernberg.
Stavros Jernberg war der Sohn des griechischen Ehepaares Eleni und Ionnis Valliakis. Im Jahr 1974 gab es einen Einschnitt im Leben des damals fünfjährigen Jungen. Die Militärdiktatur brach in Griechenland zusammen. In den Jahren davor hatten es sich die Eltern so gut gehen lassen, dass der Tod des Vaters für die Griechen wohl eine Voraussetzung für eine demokratische Zukunft gewesen war. Die Mutter kam für zwei Jahre ins Gefängnis. Stavros lebte erst bei seiner Großmutter und ein Jahr später nach ihrem Tod noch ein Jahr lang in einem Athener Kinderheim. Nach ihrer Entlassung nahm die Mutter das Kind wieder zu sich. Auf diese beiden Jahre hatte sich die Psychologin natürlich mit Freude
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