Die Falsche Tote
konnte. Rosenfeldt war 52 Jahre alt und in Eskilstuna geboren. Schon kurz nach seinem Studium in Uppsala war er beim Justizministerium gelandet. Als Ressortleiter hatte er an zahlreichen Gesetzgebungen mitgewirkt, und wo immer er seine Hand im Spiel hatte, wollte er verhindern, dass Konstrukte wie der Staat sich am Leben vergriffen. Man konnte also behaupten, dass seine Karriere von Anfang an auf sein jetziges Amt als Justizkanzler hinausgelaufen war. Sofi fand, dass er es ideal verkörperte. Dort war er nämlich dafür zuständig, dass Behörden kein Unrecht an den Bürger begingen. Die Polizei gehörte auch dazu. Im Frühling war es zum Eklat gekommen. Rosenfeldt behauptete, die Polizei jongliere zu locker mit Zeugenaussagen und Geständnissen, wenn sie jemand für schuldig halte, dies aber nicht beweisen könne. Aus ihrer Zeit in Norrmalm wusste Sofi, was er damit meinte. Als Erste hatte Agneta Norrbäck, die Chefin der Polizei von Stockholm, sich offiziell dazu zu Wort gemeldet. Dies sei eine haltlose Behauptung. Sten Haglund, der Reichskriminalchef, hatte am darauffolgenden Tag in einer anderen Zeitung nachgelegt, der JK solle Beweise vorlegen oder wahlweise die Klappe halten. Natürlich war es ganz und gar unmöglich, diese Behauptung zu beweisen. In den folgenden Tagen übernahmen der Chef des Polizeiverbandes und im Anschluss noch weitere Polizeivertreter den Staffelstab. Dann schwiegen alle mit einem Schlag, und die Sache war erledigt. Diese Taktik wurde »Schwedische Mauer« genannt. Einer nach dem anderen zeigte sich empört und tat, als wüsste er gar nicht, wovon der Justizkanzler da redete. Dabei war alles genau abgesprochen gewesen. Schließlich lobten einige Journalisten Rosenfeldts Courage. Damit war die Sache noch vor dem Urlaub aus der Welt geschafft.
Der Justizkanzler hatte aber noch viel mehr Kompetenzen, um sich Feinde zu schaffen. Rosenfeldt überwachte alle Juristen, die Richter und die Anwälte. Auch hier hatte er schon das ein oder andere Spektakel ausgelöst. Zwei Richter und eine Latte an Anwälten durften ihren Beruf nicht mehr ausüben.
Doch all dies waren Gegner, die sich ihren Weg in der Regel nicht durch Mord freiräumten. Rosenfeldt hatte sich aber noch weitere Feinde gemacht, die sich aus seiner Aufgabe ergaben, die Meinungs- und Pressefreiheit in Schweden zu gewährleisten. Dort hatte er die Säpo gegen sich aufgebracht, die gerne die eine oder andere Internetseite provisorisch stilllegen ließ. Niemand wusste, was die Säpo in Wahrheit mit ihren Feinden machte, aber seit den Morden an Palme und Lindh dachte jeder zunächst an das Schlimmste. Der JK sorgte auch dafür, dass die Pressefreiheit nicht missbraucht wurde. Mehrmals hatte Rosenfeldt kurdische und nationalsozialistische Zeitungen und Flugblätter beschlagnahmen lassen.
Es gab also nur zwei Gruppen, die Rosenfeldt liebten, die Bürger Schwedens und die Journalisten. Das waren beruhigend viele Menschen, aber ausgerechnet dem Rest war alles zuzutrauen. Und er war so groß, dass eine junge Polizeiassistentin unruhig werden konnte, wenn sie an ihren in acht Tagen beginnenden Urlaub und ihre großen Pläne dafür dachte.
Zu dritt betraten sie das Gebäude und folgten dem langen Gang. Es erstaunte Sofi, dass Lennart Rosenfeldt jetzt noch so viel Haltung bewahren konnte. Ohne seinen Titel wäre Sten Haglund nur ein strenger Opa gewesen, fand Sofi, Rosenfeldt hingegen blieb auch jetzt derselbe. Er verhielt sich in seinen Gesten nur besonders aufmerksam und sogar freundlich. Dahinter vermutete sie Hilflosigkeit, wie sie viele Menschen in einer solchen Lage befiel.
Am Ende wartete Suunaats Stille auf ihn. Ihr grönländisches Gesicht hatte etwas ganz und gar Elementares und passte gut hierher. Da standen sich zwei wahrhaftige Menschen gegenüber. Sie wäre gern auch so gewesen, wünschte Sofi sich, aber nur für einen Augenblick, denn dann behauptete Lennart Rosenfeldt, dass er die Tote noch nie gesehen habe.
9
Linda Cederström schluckte und drückte die Glastür auf. Seit der Brücke nach Skeppsholmen, wo die Kunsthochschule lag, war sie niemandem begegnet. Auch die helle Halle war menschenleer. Bei ihrem ersten Besuch war ihr das Gebäude riesig vorgekommen. Das konnte sie jetzt überhaupt nicht mehr verstehen. Sie folgte dem Gang nach rechts und erreichte die Tür, hinter der die Meisterklasse lag. Sie war geschlossen. Linda klopfte und drückte ihr Gesicht gegen das schwere Milchglas. Niemand kam, um ihr zu öffnen,
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