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Die Falsche Tote

Titel: Die Falsche Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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seiner Idylle stammen.«
    Barbro hatte drei Jahre Altgriechisch auf dem Gymnasium gelernt und gähnte sofort.
    Sofi sah Kjell aufmerksam an. Sie ahnte nicht, dass ihnen zweiunddreißig Hirtendichtungen bevorstanden, und setzte ihren Bericht fort. »Lasse behauptet steif und fest, dass der Eindringling den Zettel nicht mitgebracht haben kann. Er hat das Daunenkissen untersucht, unter dem der Brief lag.«
    »Nun ist er also gekommen«, raunte Henning. »Aber Artemis hat sie nicht beschützt.«

8
    Der Obduktionssaal hatte sich seit seinem letzten Besuch verändert. Jemand hatte die alten lindgrünen Kacheln abgeschlagen und durch Metallplatten ersetzt. Der scharfe Geruch verriet, dass sie hier gerade erst mit dem Abspülen fertig geworden waren. Die wandhohen Fenster waren gekippt, deshalb drang das Zwitschern der Spatzen herein und verstärkte seine Intensität in dem kargen Saal noch. Die aus Grönland stammende Gerichtsmedizinerin saß ganz hinten neben dem vierten Tisch auf einem Stuhl und hatte eine aufgeschlagene Stockholm City auf dem Schoß liegen. Suunaat Kjærgaard las jedoch nicht, vielleicht lauschte sie den Vögeln. Auf ihrem Gesicht wartete schon ein professionelles Lächeln. Sie streckte Kjell die Hand entgegen, weil sie einander noch nicht kannten. Beim Schütteln kniff Suunaat ihre schmalen Augen zusammen.
    »Suunaat Kjærgaard? Guten Morgen.« Zum Glück hieß sie nicht Kirkegaard, dachte Kjell.
    Suunaat versuchte, ihr Grönlanddänisch durch das Anhängen bunter Vokale ihren schwedischen Mitmenschen verständlicher zu gestalten. Kjell war von Henning beauftragt worden, die Inuit-Frage auf höchster Instanz zu klären.
    Suunaat kniff die Augen zusammen. »Inuit? Nein.«
    »Also falsch?«
    »Nein.«
    »Und wie nennt ihr euch nun?«
    »Grönländer.«
    Das war irgendwie logisch. Die Schweden hießen ja auch nach ihrem Land und nicht etwa »Volvofahrer« oder »Krebsfresser«. Die Antwort war zudem salomonisch und verhinderte ein Auseinanderbrechen der Ermittlungsgruppe.
    »Und Eskimo?«, fragte Sofi. »Sagt man das auch?«
    »Sagt man. Eskimo oder Grönländer. Kalaaleq.«
    »Kallalleck ist grönländisch für ›Grönländer‹?«, wollte Kjell wissen.
    »Ja, grönländisch. Eigentlich isländisch, aber wir sprechen so.«
    »Verstehe. Inuit sagt ihr also nicht?« Kjell wollte nur noch einmal nachfragen, damit es keine Unklarheiten gab.
    »Kann man sagen, aber macht keiner in Grönland. In Kanada ja. Grönland nein.«
    Dieses Ergebnis erstaunte Kjell. Die Grönländer wollten Eskimos genannt werden, aber nicht Inuit. Zur Sicherheit wollte er später Sofi fragen, wie sie dieses Gespräch erlebt hatte.
    Die Klarheit der Unterhaltung hatte Kjell in leichte Unruhe versetzte, wenn er daran dachte, dass Suunaat gleich einen komplexen Obduktionsbericht in ihrem Grönlanddannoschwedisch bewältigen musste. Für ihren Bericht wechselte Suunaat jedoch in ein amerikanisches Englisch, das so unbefleckt war wie das Laken, das sie dabei von der Leiche krempelte.
    Beim Anblick des zierlichen Mädchens stöhnte Kjell auf. Die Maße ihres Körpers glichen Lindas. Mit ihren siebzehn Jahren musste Linda sich glücklich schätzen, wenn sie wenigstens auf sechzehn geschätzt wurde. Auch Josefin musste es so ergangen sein. Der Sturz hatte ihrem Körper zahlreiche Verletzungen beigebracht, die sich nicht nur auf das Knochengerüst beschränkten, sondern auch die Organe betrafen. Das Blut war nach dem Aufprall schnell aus ihrem Körper gewichen.
    Suunaat glänzte mit vielen englischen Fachausdrücken, deren Bedeutung Kjell nur verstand, weil Suunaat immer auf die Stelle des toten Körpers deutete, von der sie gerade sprach. Interessant war, was Suunaat zu vorausgegangenen Verletzungen zu sagen hatte. Auf ihrer Haut und an anderen verräterischen Stellen wie den Augen oder den Fingernägeln fanden sich nirgendwo Hinweise, dass dem Sturz ein Kampf vorausgegangen war. Josefin war leicht angetrunken gestorben. Ihr Blut enthielt 0,31 Promille Alkohol. Das deckte sich mit dem Bericht der Isländerin, nachdem Josefin in den anderthalb Stunden vor ihrem Tod zwei Gläser Weißwein getrunken haben sollte.
    Josefin war keine Jungfrau mehr und hatte nie empfangen oder eine Schwangerschaft abgebrochen.
    »Die Entjungferung liegt noch nicht allzu lange zurück«, berichtete Suunaat und deutete mit dem Finger auf die entsprechende Stelle.
    Sofi gab einen erstaunten Laut von sich. Linda war siebzehn und auch noch Jungfrau, aber Kjell sagte

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