Die Falsche Tote
Sitz der Justizkanzlei gefahren, um dem Büroleiter eine Mappe mit Akten zu überbringen, die der Vater ihr mitgegeben hatte. Der Büroleiter kannte Josefin, daher musste diese Begegnung als letztes Lebenszeichen gelten. Es lag nun bereits siebzehn Tage zurück.
Zu Josefins Bruder Oskar hatte der Vater seit seiner Abreise keinen Kontakt mehr gehabt. Daran sei nichts ungewöhnlich, fand Rosenfeldt. Oskar lebte sein eigenes Leben, und das Verhältnis der beiden war wohl so angespannt, wie die Worte, mit denen Rosenfeldt es beschrieb.
»Nach dem 17. Juli hat niemand mehr Josefin gesehen«, sagte Kjell. »Sechzehn Tage später stürzte eine junge Frau aus dem Fenster von Josefins Dreizimmerwohnung. Der Vater hat keine Ahnung, um wen es sich dabei handeln könnte.«
»Satan auch!« Sofis schwarze Augen funkelten. »Die Isländerin wohnt zum Zeitpunkt des Mordes schon dreizehn Tage dort! Die Tote hat sich ihr gegenüber ohne Zweifel als Josefin ausgegeben. Noch gruseliger finde ich, dass die echte Josefin ihrem Vater in Frankreich sogar ankündigt, dass sie eine Mitbewohnerin aus Island bekommt.«
»Die echte Josefin hat das also vereinbart, aber als die Isländerin dann ankam, muss die Doppelgängerin schon dort gewesen sein.« Kjell deutete auf Sofis Zeitleiste, und Sofi setzte ein blaues Kreuz auf den 21. Juli. Spätestens von da an musste die Doppelgängerin übernommen haben. »Ganze zwei Wochen«, murmelte Kjell. »Solange hat die Isländerin nichts gemerkt.«
»Wie sollte sie auch!«
»Du glaubst der Isländerin also?«
»Nein, lieber nicht.«
Die Tote. Rosenfeldt hatte ein Foto von Josefin mitgebracht, das erst im Urlaub aufgenommen worden war. Das Bild im Polizeiarchiv war viel älter, und die Ähnlichkeit immerhin so groß, dass keinem bei der Polizei Zweifel gekommen waren. Aber die Ähnlichkeit war nur grob und erinnerte an Ankreuzoptionen bei einer Partnerschaftsagentur, wo man auswählen konnte, ob man eine Blonde oder Brünette wollte. Beide Frauen hatten braunes Haar, das der Toten war jedoch ein wenig dunkler. Beide hatten recht zierliche Körper und Gesichter, doch im Bus hätte er die beiden nicht für Schwestern gehalten.
»Ist dir das auch schon einmal passiert?«, fragte Kjell. »Dass du zwei Dinge als zusammengehörend empfunden hast, nur weil sie gemeinsam auftraten? Wobei das ganz und gar nicht der Fall war?«
Sofis Augenbrauen wölbten sich zu Bögen. »Dauernd!«, sagte sie zu seinem Erstaunen. »Mit zwölf habe ich im Fernsehen einen amerikanischen Film gesehen. In einer Bar sagte eine Frau zu einem Mann, sie habe keine Zeit, sie sei auf der Suche nach einem Job und laufe sich die Hacken wund. Ich wusste damals nicht, was das Wort »Job« bedeutet, ich hatte es noch nie gehört. Der Mann erwiderte, er verstehe, und reichte der Frau einen Autoschlüssel. Sie verließ die Bar, schloss mit dem Schlüssel einen amerikanischen Schlitten auf und fuhr davon.«
Sofi hielt inne und betrachtete ihren Chef erwartungsvoll.
»Und?«, fragte er.
»Ich habe drei Jahre lang geglaubt, dass »Job« eine amerikanische Automarke ist.«
Dass sie mit so einem guten Beispiel glänzen konnte, hatte er nicht erwartet.
»Du musst auch ein Beispiel geben.«
Kjell erzählte von Estelle, seiner ersten Liebe. Kjell hatte sie in seinem zwölften Lebensjahr am Urlaubsstrand kennengelernt, und ihre Liebe hatte acht Sonnenuntergänge lang gedauert. Beim achten hatte Estelle ihm auf seine Frage, was sie einmal werden wolle, stolz geantwortet, dass sie erst studieren und dann Mätresse sein wollte. Entsetzt hatte Kjell den achten gemeinsamen Sonnenuntergang abgebrochen und Estelle am Strand sitzengelassen. Noch ehe die Sonne ganz mit dem Meer verschmolzen war.
»Aha«, sagte Sofi. »Und dann?«
»Ich war am Boden zerstört und von progressiver Eifersucht zerfressen. Kurz nach meiner Rückkehr nach Schweden fand ich dann heraus, dass maîtresse das französische Wort für ›Lehrerin‹ ist.«
Sofi lachte schallend. »Das ist tragisch, aber noch lange kein Beispiel dafür, dass man eine falsche Verbindung zwischen zwei Dingen konstruiert.«
Sofi hatte ja auch Estelle nie in die Augen geblickt. Auf der anderen Seite konnten zwei Bilder zusammengehören, zwischen denen es keine logische Verbindung gab. Kjell war beim Lotto darauf gestoßen. Wenn dort die Eins und die Vier kamen, trat zugleich nie die Fünf auf als Summe aus eins und vier, dafür aber die Vierzehn. Das ließ sich nicht mit Mathematik erklären,
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