Die Falsche Tote
gezogen.«
Linda erzählte selbst, wie sie das Verlangen des Mannes scharf erkannt hatte und wie ihre Antwort darauf ausgefallen war. Sie hatte den zweiten Fuß gegen die hintere Wand gestemmt und nur noch gedrückt. Im Arm des Mannes hatte es so laut geknackt, dass Linda vor Schreck etwas losließ und der Mann nach hinten umfiel. Er hatte wie am Spieß geschrien. Linda hatte die Tür zugedrückt, zweimal abgeschlossen und sofort die Polizei angerufen, die sie dann ins nahe Söderkrankenhaus brachte. Dort hatten sie Barbro und Henning abgeholt. Von dem Mann fehlte noch jede Spur.
»Bist du wütend, Papa?«
Kjell schwieg. Wäre Linda im Gesicht nicht ohnehin schon so blau gewesen, hätte er sie geohrfeigt. Sie war anscheinend zu blöd, die einfachsten Gefahren zu erkennen.
»Wollte der wirklich Sex?«, fragte Sofi interessiert.
Linda nickte eifrig. »Er war fest mit Amelie verabredet, aber er wusste nicht mal, wie sie aussieht. Da war mir gleich alles klar.«
»Soso«, sagte Kjell. »Du hältst jetzt erst mal die Klappe, ja?«
Linda verstand endlich und nickte nur. Barbro grinste über das Autodach hinweg zu ihm herüber. Es war ein deutliches Zeichen der Erleichterung. Auf dem Rücksitz lag Lindas Skizzenblock mit einem ausgearbeiteten Phantombild.
»Skanstull«, flüsterte Sofi ihm zu, als der Wagen losfuhr. »Das ist genau da, wo die Automatentour zu Ende war.«
Sie erreichten Södermalm nach einer Stunde. Vor dem Häuserblock, in dessen Erdgeschoss das Einkaufszentrum Ringen lag, rissen Bauarbeiter die Straße mit einer Fräse auf. Kurzerhand stellte Henning den Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite direkt vor dem Hotel ab und montierte vor den Augen des entsetzten Portiers das Blaulicht aufs Dach.
»Moment, ja?«, rief Sofi und rannte die Straße entlang. Fünfzig Meter weiter blieb sie vor dem Blumenladen stehen und starrte die Hausfassade an. Dann kam sie zurückgeeilt. »Ich hab mir den Geldautomaten angeschaut.«
Gemeinsam überquerten sie die Straße und ließen sich von Linda in den Innenhof lotsen. Lasse war bereits mit einem Kollegen hiergewesen und hatte Fingerabdrücke genommen. In der Wohnung konnte Kjell sogleich verstehen, was Linda daran so eigenartig fand.
»Die Mieterin heißt Lovisa Segemark«, sagte Barbro. »Sie ist einundzwanzig und stammt aus Norrland. Das Wohnrecht hat sie für 1,2 Millionen gekauft und zehn Prozent angezahlt. Die Finanzierung läuft bei Länsförsäkringar. Die Raten werden regelmäßig vom Konto abgebucht. Sie arbeitet drüben im Söder als Krankengymnastin. Die Personalabteilung teilt mit, dass Lovisa jeden Sommer zwei Monate Urlaub nimmt, aber das Urlaubsziel kennen sie natürlich nicht. Am Siebzehnten erwarten sie sie wieder zur Arbeit.«
»Und diese Amelie?«, wollte Kjell wissen.
»Außer dem Schlüssel, den Linda in Amelies Wohnung gefunden hat, gibt es keine Verbindung zu Lovisa und dieser Wohnung. Wir prüfen zurzeit, ob Lovisa Verwandte in Norrland hat, die wir fragen könnten.«
»Vielleicht ist Amelie auch dort«, überlegte Henning.
Linda bestritt das energisch. »Wir waren ja verabredet.« »Du weißt ja auch so viel über sie«, sagte Kjell, und Linda schwieg von da an wieder.
Alle sahen Sofi dabei zu, wie sie die Sachen im Schrank inspizierte. Aus der Wohnung hatten die Tatorttechniker zunächst nur das Bettzeug mitgenommen, um dem Verdacht nachzugehen, dass hier Prostitution betrieben wurde.
Eine halbe Stunde später standen sie vor Amelies Wohnung in Kungsholmen. Wie eine Ameisenkolonne stiegen sie nacheinander die schmale Außentreppe hinab in den tief liegenden Hof und betraten dann das Haus. Im Treppenhaus klemmte immer noch der Zettel in der Tür. Barbro und Linda mussten beichten, was sie Montagnacht hier getrieben hatten.
Nachdem Barbro das Schloss endlich aufgefingert hatte, strömten die fünf in die Wohnung. Kjell blieb im Flur stehen und ließ seinem Befremden freien Lauf. Wie waren denn Linda und die Besitzerin dieser Wohnung auf die Idee gekommen, irgendwelche Gemeinsamkeit zu haben, die die Basis für eine Freundschaft sein könnten? Vielleicht maß er es zu sehr an Lindas bester Freundin Cissi, die wie Linda keinen Tag älter als fünfzehn aussah und mit ihren Spangen im Haar bei jedem Besuch in die Küche kam, um mit ihm zu flirten.
Amelie schien von anderem Kaliber zu sein. Eine ideologische Kargheit prägte die Einrichtung. Der blaue Esstisch musste einiges gekostet haben, ebenso das raffinierte System aus
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