Die Falsche Tote
Deckenstrahlern. Hier wohnte jemand, der mitten im Erwachsenenleben stand.
»Kjell! Komm her!«
Das war Sofi. Er ging zu den anderen ins Schlafzimmer. Sie starrten auf das Poster an der Wand.
Kjell kratzte sich an der Stirn. Was hatte das zu bedeuten?
Sofi schwieg mit staunenden Augen. Henning hatte sich vor dem Plakat postiert und die Daumen in den Bund seiner Hose gesteckt. Das gab ihm das Flair eines Cowboys beim Duell. Zudem ging er auf und ab. Er schüttelte den Kopf. »So ein verdammter Zufall!«
»Du glaubst an einen Zufall?«, fragte Sofi.
»Nein«, antwortete Barbro an Hennings statt. »Er will sagen, dass es kein Zufall ist.«
»Aber 29 Prozent aller Mordermittlungen werden nur durch einen Zufall aufgeklärt«, wandte Sofi ein.
Henning schüttelte den Kopf. »Das hier ist kein Zufall.«
Kjell hörte auf, sich an der Stirn zu kratzen. Er war noch nicht so weit, diese Frage zu erörtern. Am liebsten hätte er noch einige Minuten lang nur gestarrt. »Linda hat sich schon vor Wochen an der Kunsthochschule beworben. Wie alles gelaufen ist, kann es da keine Verbindung geben.«
»Zufall ist nur eines daran«, sagte Henning bestimmt. »Das Plakat ist weiter verbreitet, als wir dachten. So verbreitet, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass wir es durch einen Zufall auch woanders entdecken.«
»Aber Amelie Heidvall ist ebenfalls verschwunden!«, rief Sofi. »Und zwar genau zwischen den beiden Morden.«
Kjell wandte sich an Sofi. »Du fährst sofort ins Büro und kümmerst dich um die Zielfahndung. Per soll herkommen und alles auf den Kopf stellen.«
Linda stand im Türrahmen und starrte alle fassungslos an. Kjell erreichte das Büro um kurz vor drei. Er hatte einen halben Kilometer lang den Arm um Linda legen wollen und war deshalb mit ihr die Kungsholmsgatan zum Polizeigebäude hinaufgeschlendert. Einen Häuserblock lang hatte er sie in alles eingeweiht, aber vor allem waren sie schweigend nebeneinander gelaufen. Oben in den Räumen der Gruppe zeigte er ihr die Liege im Archivraum, wo sie liegen und aus der Ferne den Stimmen der anderen lauschen konnte. Später musste sie zur Psychologin. Sie spielte die Starke, und da wollte er ganz sicher gehen.
Sofi wippte auf ihrem Federstuhl und machte gerade ein Häkchen auf ihrer Liste, als er hereinkam, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Barbro war in Amelies Wohnung zurückgeblieben und hatte sich Amelie Heidvalls persönliche Unterlagen vorgenommen.
Mit dem Zirkel schritt Sofi zur Wandkarte von Ostsvealand hinter Kjells Schreibtisch und steckte die Spitze in die kleine Stadt Gnesta. Sie lag sechzig Kilometer von Stockholm entfernt im Südwesten. Sofi zog einen weiteren Kreis um Gnesta, auf Kjells Lieblingskarte, und das Gleiche tat sie mit Katarineholm, einer anderen Kleinstadt noch weiter im Westen.
»Telia hat das Telefon in der Nacht zum Samstag aus dem Netz verloren. Zuletzt war es in Zelle 61422 angemeldet, das ist die Gnesta-Funkzelle, nachdem es mehrfach zwischen der Gnesta- und der Katarineholmszelle hin- und hergesprungen ist.« Sie konstruierte eine Gerade durch die beiden Punkte, wo sich die beiden Senderadien schnitten. »Das spricht dafür, dass sie auf dieser Nord-Süd-Linie, wo sich die beiden Sendebereiche schneiden, nach Süden gefahren ist. Dort liegt das Bålven-Seengebiet.«
Henning war eingetroffen und verfolgte das Gespräch schweigend vom Türrahmen aus.
»Wenn das alles hier vorbei ist, fährst du zum Kartenladen in der Kungsgatan und kaufst mir eine neue Ostschwedenkarte.«
Sofi fuhr herum und starrte ihren Chef an.
»Vielleicht hat sie abgeschaltet«, überlegte Henning. »Kann man das nicht sagen?«
Sofi schüttelte den Kopf. »Das Netz weiß so gut wie nichts über die eingeloggten Telefone. Ein Funkloch ist hier jedenfalls nicht ganz unwahrscheinlich. Das Seengebiet ist von Landzungen mit dichtem Wald und felsigen Erhebungen zerfurcht. Aber eigentlich kann es kaum passieren, dass man keinen Empfang hat.«
»Na gut«, sagte Kjell unschlüssig und fuhr mit dem Zeigefinger über die beiden Löcher in seiner Karte, um den Schaden abzuschätzen.
»Ich hab den Catcher bestellt«, sagte Sofi. »Wenn das Telefon eingeschaltet ist, schicke ich ihm eine Positionsabfrage.«
»Dürfen wir abhören?«
Sofi blickte fragend zu Henning, der die Öffnung der beiden Wohnungen nachträglich vom Gericht hatte anordnen lassen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Beschlagnahme umfangreich würde. Henning ging
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