Die Falsche Tote
Hinterhersehen erstarrt, auch nachdem Barbro die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Kjell lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, was den stumpfen Schmerz in seinem Rücken ein wenig linderte. Die Folgen des Herumsuhlens auf dem feuchten Waldboden hatten sich erst auf der Rückfahrt richtig bemerkbar gemacht.
»Amelie Heidvall, ich sage dir jetzt mal was. Wir suchen nach Josefin Rosenfeldt. Das Plakat da hat etwas zu bedeuten, und wir wollen wissen, was das ist. Du hast es entworfen. Wir werden keine Ruhe geben, bis wir Josefin gefunden haben. Es ist eine ganz einfache Erpressungssituation. Du erzählst mir alles, was mich zu Josefin führt, dann bin ich zufrieden und mache mir ein Bier auf. Andernfalls lasse ich von einem zehnköpfigen Team jede Sekunde deines Lebens rekonstruieren. Etwas sagt mir, dass es dir sehr leichtfallen wird, dich für uns zu entscheiden. Wir sehen uns in einer Stunde.«
49
Kjell eilte mit seinen Kollegen im Gefolge den Flur entlang. Er erkundigte sich nach Linda und erhielt die Auskunft, dass jemand mit ihr nach unten gegangen war, damit sie duschen konnte. Oben traf er sie im Archivraum mit frischgeföhnten Haaren.
Sie stieg gerade in Barbros roten Sportanzug. Davor hatte sie all die Stunden dagelegen und geschlafen. Linda konnte wirklich überall schlafen. Kjell brachte seine Tochter zu seinem Schreibtisch.
»Wir haben gleich Besprechung. Kannst du etwas für mich tun?«
Linda nickte ernst.
Kjell zeigte ihr Bilder von der Toten aus Josefins Wohnung und vom Toten aus dem Kronobergspark. »Kannst du sie so zeichnen, dass sie wie lebende Menschen aussehen?«
Wie erwartet erschrak Linda nicht über den Anblick. Sie blätterte nachts gerne heimlich in seinen Akten und aß dazu ein Käsebrot.
»Hier hast du ein Foto von Josefin. Das Bild sollte in etwa so aussehen, damit man es vergleichen kann.«
Linda lief hinüber ins Archiv und kehrte mit ihrer Zeichentasche zurück. Kjell ließ sie allein und ging in den Besprechungsraum. Dort hatte Henning schon den Tisch gedeckt und Abendkaffee gekocht. Es war zehn Uhr, als alle am Tisch Platz nahmen. Außer der Gruppe waren auch Sten und die namenlose Ermittlerin dabei, sowie Jannika von der Prostitution und Britta von der Jugendkriminalität.
»Drei der Freier kennen wir schon«, sagte Jannika, die als Erste drankam. »Das ist eine ganz eigene Klientel, die wir nicht im Bereich der organisierten Prostitution finden.«
»Die Gleichzeitigkeit von Feminismus und Prostitution bereitet mir noch einige Schwierigkeiten«, gestand Henning.
»Das ist klar, dass du das als Mann nicht schaffst. Es ist auch in der Frauenbewegung eine recht avantgardistische Richtung.«
»Die Speerspitze, ja?«
»Letztlich ist es eine Stockholmer Spezialität als folgerichtige Fortentwicklung der Abtreibungsbewegung vergangener Tage. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper wird dabei auf das ganze Leben ausgeweitet. Da in Stockholm zwei Drittel der Menschen als Singles leben, war es nur eine Frage der Zeit.«
»Kapier ich nicht«, meinte Henning. »Ein Kaufvertrag schließt doch die Übereignung des Verfügungsrechts über die Sache mit ein.«
»Genau da liegt dein männlicher Denkfehler. Die Frauen wollen ja Sex auf unverbindliche Art. Dass sie zudem Geld nehmen, sehen sie als Befreiung aus einer feudalistischen Zwangsmoral.«
»Wie viele?«, fragte Kjell.
»Etwa hundert in Stockholm. Inzwischen auch in anderen Städten. Außerhalb Schwedens ist es nur in Oslo belegt.«
»Ganz schön viele«, flüsterte Sofi erstaunt.
»Die Feministinnen aus dem Rest der Welt liegen also mit mir auf einer Wellenlänge«, folgerte Henning.
Jannika lachte.
»Das sind also verschiedene Gruppen«, wollte Kjell wissen. »Die normalen Studentinnen, die sich ihr Studium verdienen, und die Feministinnen.«
Jannika nickte. »Es sind zwei völlig verschiedene Denkhaltungen. Die Gelegenheitsprostitution unterscheidet sich vor allem dadurch, dass sie nicht organisiert ist. Bei den Feministinnen glauben wir schon seit einiger Zeit an ein Netzwerk.«
»Die Vierte Schwesternschaft«, sagte Kjell.
Britta von der Jugendkriminalität meldete sich zu Wort. »Es gibt besonders aus den kleineren Städten Hinweise darauf, dass das Netzwerk als Schutz für die Frauen dient. Sie teilen sich gegenseitig ihre Verabredungen mit. Das ist aber nicht der Grund, warum dieses Netzwerk eigentlich besteht. Es existiert schon viel länger. Die vierte Welle ist wie die dritte. Die Dritten
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