Die Familie ohne Namen
dann aus Herrn de Vaudreuil werden? Wenn dieser in die Hand der Königlichen fiel, war er verloren, denn selbst die Verwundeten fanden bei dieser blutigen Affaire keine Schonung.
Gegen acht Uhr schien in St. Charles jedoch einige Ruhe einzutreten. Entweder waren die Einwohner nun vertrieben oder sie hatten sich nach Abzug der Whiterall’schen Colonne in die von dem Brande verschont gebliebenen Gebäude gerettet. Jetzt waren die Straßen menschenleer – jetzt galt es davon zu Nutzen zu ziehen.
Johann näherte sich vorsichtig der Thür der Kirche. Diese halb öffnend, warf er einen prüfenden Blick über den kleinen Platz vor dem Gotteshause und stieg die Stufen der Vorhalle hinab.
Kein Mensch befand sich auf dem von den entfernten Flammen hell erleuchteten Platze.
Johann kehrte zu Herrn de Vaudreuil zurück, der ausgestreckt neben einem Pfeiler lag. Er hob ihn auf und nahm ihn die Arme. Doch selbst für einen so muskelstarken Mann wie Johann bildete der Körper eine sehr schwere Last,
Herr de Vaudreuil wurde von einem Säbelhiebe getroffen. (S. 254.)
wenn er diese bis nach der Biegung der Landstraße, wo das geschlossene Haus stand, tragen sollte.
Johann überschritt den Platz und glitt über die nächste Straße hin.
Es war die höchste Zeit. Kaum hatte er einige zwanzig Schritte zurückgelegt, als er laute Rufe vernahm, während der Erdboden von Pferdegetrappel wiederhallte.
Die Reiterabtheilung war es, welche nach St. Charles zurückkehrte. Ehe diese zur weiteren Verfolgung der Flüchtlinge aufbrechen sollte, hatte der Oberstlieutenant Whiterall ihr Befehl gegeben, zur Nachtruhe in den Flecken zurückzukehren, wo sie bis Tagesanbruch verweilen sollte, und gerade die Kirche war zur Unterkunft der Leute ausersehen worden.
Kaum eine Minute nachher hatten sich die Reiter unter dem Schiff derselben eingerichtet, doch nicht ohne sich durch geeignete Maßregeln vor feindlicher Ueberrumpelung zu schützen. Aber nicht die Mannschaften allein machten es sich im Innern der Kirche bequem, nein, auch die Pferde waren in dieser mit untergestellt worden. Da ist es wohl kaum nöthig, auf die Profanationen hinzuweisen, denen sich die wilde Soldateska, von Blut und Gier berauscht, in diesem, dem katholischen Cultus geweihten Gebäude hingab.
Johann ging die verlassene Straße weiter hinunter und machte nur dann und wann Halt, um einmal Athem zu schöpfen. Immer quälte ihn die Furcht, je mehr er sich dem geschlossenen Hause näherte, nur dessen Ruinen wiederzufinden.
Endlich erreichte er die Straße und blieb vor der Wohnung seiner Mutter stehen. Die Feuersbrunst hatte sich nach dieser Seite hin nicht ausgebreitet. Das Haus war unversehrt, im Schatten verloren. Durch seine Fenster drang nicht die Spur eines Lichtstrahls.
Herrn de Vaudreuil tragend, stand Johann jetzt vor der Gitterthür, welche den kleinen Vorhof abschloß; er stieß dieselbe auf, schleppte sich bis zur Hausthür und gab das verabredete Zeichen.
Einen Augenblick später waren Herr de Vaudreuil und Johann im Hause der Bridget Morgaz in Sicherheit.
Drittes Capitel.
Herr de Vaudreuil im geschlossenen Hause.
»Mutter, begann Johann, nachdem er den Verwundeten auf das Bett, welches er oder sein Bruder gelegentlich benutzte, wenn sie einmal im geschlossenen Hause übernachteten, niedergelegt, Mutter, es kostet diesem Manne das Leben, wenn ihm nicht die sorgsamste Pflege zu Theil wird.
– Ich werde ihn pflegen, Johann.
– Doch es geht auch Dir aus Leben, wenn Whiterall’s Soldaten ihn bei Dir finden!
– Mir aus Leben!… Was zählt denn mein Leben, lieber Sohn?« antwortete Bridget.
Johann wollte sie nicht wissen lassen, daß Herr de Vaudreuil, eines der Opfer Simon Morgaz’, vor ihr lag. Das hätte zu beschämende Erinnerungen in ihr wachgerufen. Besser war es jedenfalls, wenn Bridget davon nichts erfuhr. Der Mann, dem sie Obdach bot, gehörte zu den Patrioten – das war genug, um ihm ein Anrecht auf ihre Hilfe und Ergebenheit zu sichern.
Zuerst waren Johann und Bridget nach der Hausthür zurückgegangen. Sie lauschten. Drang auch von der Kirche her noch wüstes Geschrei, so herrschte auf der Landstraße doch vollkommene Ruhe. Der letzte Schein des im höheren Theil der Stadt entfachten Brandes war dem Verlöschen nahe und auch das Lärmen der Königlichen verstummte allmählich. Sie mochten des Brennens, Raubens und Mordens satt geworden sein. Alles in Allem waren etwa zwanzig Wohnstätten durch das Feuer zerstört. Das geschlossene
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