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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Verrath Simon Morgaz’ fast mit dem Kopfe hatte bezahlen müssen. Wenn er nun erfuhr, welches Haus ihm Obdach geboten, welche Hand ihn dem Tode abgerungen, würde ihn da nicht ein Schauder durchbeben und würde er sich nicht auf den Knien fortschleppen, um so schnell wie möglich die Berührung mit dieser Familie, die ihn nur schändete, zu fliehen?
    In einem längeren Seufzer ließ Herr de Vaudreuil wiederum den Namen Clarys hören.
    »Er könnte sterben, sagte Johann, aber er darf nicht, ohne seine Tochter wiedergesehen zu haben…
    – Ich werde sie holen, erklärte Bridget.
    – Nein!… Das ist meine Aufgabe, Mutter!
    – Du, den man in der Grafschaft auf Schritt und Tritt verfolgt?… Willst Du unterliegen, ehe Du Dein Werk vollendet?… Nein, Johann, Du hast noch nicht das Recht, zu sterben. Ich werde Clary de Vaudreuil holen!
    – Clary de Vaudreuil wird sich aber weigern, Dir zu folgen, Mutter!
    – Sie wird sich nicht weigern, wenn sie hört, daß ihr Vater im Sterben liegt und nach ihr ruft… Wo ist Fräulein de Vaudreuil in St. Denis?
    – Im Hause des Richters Froment… Es ist aber zu weit bis dahin, Mutter!… Du wirst nicht die Kraft dazu haben!… Hin-und Rückweg betragen ja gegen zwölf Meilen. Ich, wenn ich unverzüglich aufbreche, habe Zeit genug, nach St. Denis zu gehen und Clary de Vaudreuil hierher zu führen, noch ehe der Tag anbricht. Niemand wird mich fortgehen sehen… Niemand wird es merken, wenn ich in das geschlossene Haus zurückkehre…
    – Niemand?… antwortete Bridget. Und wie willst Du die Soldaten, welche die Landstraßen überwachen, vermeiden?… Wie willst Du, ihnen einmal in die Hände gefallen, wieder entkommen?… Selbst zugegeben, daß sie Dich nicht sofort erkennen, würden sie Dich deshalb freien Weges ziehen lassen?… Ich dagegen, eine alte Frau, warum sollten sie mich anhalten?… Genug der Worte, Johann; Herr de Vaudreuil will seine Tochter sehen!… Er muß sie sehen, und ich allein bin es, die jene ihm zuzuführen vermag!… Ich breche auf!«
    Johann mußte sich den Vorstellungen Bridgets fügen. Obwohl die Nacht sehr dunkel war, wäre es für ihn, wenn er sich auf die von den Patrouillen Whiterall’s bewachten Wege wagte, gleich der Gefahr gewesen, sein Vorhaben nicht ausführen zu können; und Clary de Vaudreuil mußte unbedingt vor Tagesanbruch die Schwelle des geschlossenen Hauses überschritten haben. Wer konnte wissen, ob das Leben ihres Vaters überhaupt noch so lange währte! Johann ohne Namen, der jetzt als solcher bekannt war, nachdem er mit offenem Visir gekämpft, hätte schwerlich nach St. Denis und von da mit Fräulein de Vaudreuil zurückkommen können, da er bei einem solchen Versuche sich fast zweifellos den Händen der Königlichen überliefern mußte.
    Der letzte Grund vorzüglich bestimmte seinen Entschluß, denn die ihn persönlich drohenden Gefahren achtete er sehr gering. So gab er denn Bridget die nöthigen Nachweise, um das junge Mädchen beim Richter Froment aufzufinden. Er händigte ihr ein Billet ein mit den Worten: »Vertrauen Sie sich meiner Mutter an, folgen Sie ihr!« – die bei Clary jeden etwaigen Verdacht zerstören mußten. Dann öffnete Johann die Thür, schloß sie hinter Bridget wieder und setzte sich an das Schmerzenslager des Herrn de Vaudreuil.
    Schon etwas über zehn Uhr war es, als Bridget die um diese Stunde verlassene Straße hinabging. Der eisige Frost der langen canadischen Nächte, welcher auf dem ganzen Lande lag, hatte den Erdboden zu einem schnelleren Vorwärtskommen geeigneter gemacht. Das erste Viertel des Mondes, der am Horizonte bald verschwinden sollte, ließ durch die hochschwebenden Wolken noch einzelne Sterne flimmern.
    Bridget wanderte schleunigen Schrittes durch die finstere Einöde, ohne Furcht und ohne Schwäche hin. Um eine Pflicht zu erfüllen, war die einstige Energie, von der sie so manche Probe abgelegt, noch einmal in ihr erwacht. Uebrigens kannte sie genau die Strecke von St. Charles bis St. Denis, die sie in ihrer Jugend oft genug gegangen war. Das Einzige, was sie zu fürchten hatte, war höchstens das Zusammentreffen mit einer Abtheilung Soldaten.
    Das ereignete sich denn auch zwei-oder dreimal in der Entfernung von zwei Meilen von St. Charles. Es fiel jedoch Niemand ein, die alte Frau aufzuhalten, und diese kam mit verschiedenen schlechten Bemerkungen der mehr oder weniger betrunkenen Soldaten davon. In der Richtung nach St. Denis hatte der Oberstlieutenant Whiterall keine

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