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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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zurückgeschoben werden, sie mußten jene also womöglich vermeiden. Bridget und Clary verschwanden deshalb bald zur Rechten, bald zur Linken in den Dickichten am Wege. Niemand bemerkte sie da, während sie Alle sehen und hören konnten.
    Die armen Leute schleppten sich jämmerlich vorwärts, einige ließen ganz blutige Spuren auf dem Erdboden zurück. Frauen trugen kleine Kinder auf den Armen. Die starken Männer führten die Greise, die sich lieber niedergeworfen hätten, um auf der Stelle zu sterben. Vernahmen sie dann wieder Geschrei aus der Ferne, so verschwanden sie Alle in der Finsterniß.
    Man hätte glauben können, daß Soldaten und Freiwillige diesen Unglücklichen schon auf den Fersen wären, den Armen, welche ihre brennende Heimat flohen und rings auf den Farmen eine Unterkunft suchten, die sie in St. Charles nicht mehr finden konnten. Sollte die Colonne Whiterall’s etwa schon auf dem Marsche sein, um mit anbrechendem Tage die entflohenen Patrioten gefangenzunehmen?
    Nein; es waren nur andere Flüchtlinge, welche durch das Land irrten. Zu Hunderten kamen dieselben bisweilen vorüber. Und wie viele wären in dieser schrecklichen Nacht vielleicht umgekommen, wenn sich nicht einige Farmer geopfert hätten, sie aufzunehmen!
    Mit von tödtlicher Angst gemartertem Herzen war Clary Zeugin der Schrecken dieser Flucht, und dennoch wollte sie an der Sache der Unabhängigkeit nicht verzweifeln, für die ihr Vater entschlossen dem Tode ins Auge gesehen hatte.
    Sobald der Weg wieder frei war, setzten sich Bridget und Clary aufs neue in Bewegung. Einundeinehalbe Stunde wanderten sie so dahin. Je mehr sie sich dem Flecken näherten, desto seltener wurden die Aufenthalte, weil die Straße weniger von Flüchtigen eingenommen war. Alles, was hatte entrinnen können, befand sich jetzt weit von hier und auf der Seite nach St. Denis zu, oder hatte sich in den Grafschaften Verchères und St. Hyazinthe zerstreut. In der Nachbarschaft von St. Charles galt es dafür nun, jeder Abtheilung von Freiwilligen aus dem Wege zu gehen.
    Um drei Uhr Morgens waren noch drei Meilen nach dem geschlossenen Hause zurückzulegen.
    Da sank Bridget erschöpft zusammen.
    Clary wollte sie aufrichten.
    »Lassen Sie mich Ihnen helfen, sagte sie zu ihr. Stützen Sie sich auf mich… Wir können nicht mehr weit haben…
    – Doch, eine Stunde Wegs, antwortete Bridget, und ich werde leider nicht im Stande sein…
    – Ruhen Sie einen Augenblick aus; nachher gehen wir weiter. Sie nehmen meinen Arm!… Fürchten Sie nicht, mich zu ermüden!… Ich bin stark…
    – Stark!… Armes Kind… auch Sie werden bald niedersinken!«
    Bridget hatte sich auf die Knie erhoben.
    »Hören Sie mich an, sagte sie, ich werde versuchen noch einige Schritte zu machen… Doch wenn ich wieder nicht weiter fort kann, so lassen Sie mich zurück.
    – Sie zurücklassen?… rief Clary.
    – Ja, denn nur Eins ist jetzt nöthig, daß Sie noch diese Nacht bei Ihrem Vater sind. Die Straße geht gerade aus. Das geschlossene Haus ist das erste, welches sich linker Hand vor der Ortschaft findet… Sie klopfen da an die Thür. Nennen Ihren Namen… Johann wird dann schon öffnen.
    – Nein, ich verlasse Sie nicht, antwortete das junge Mädchen. Ohne Sie gehe ich nicht weiter.
    – Doch, es muß sein, Clary de Vaudreuil, antwortete Bridget. Wenn Sie dann in Sicherheit sind, wird schon mein Sohn kommen, mich zu holen. Er wird mich tragen, wie er Herrn de Vaudreuil getragen hat.
    – Ach, ich flehe Sie an, versuchen Sie zu gehen, Madame Bridget!«
    Bridget gelang es, sich noch einmal aufzurichten; sie schleppte sich aber nur mit größter Anstrengung vorwärts. Immerhin kamen Beide noch etwa eine Meile weiter.
    Da erhellte sich der Horizont mit einem Schein, der im Osten von St. Charles emporstieg. Waren das schon die ersten Strahlen des Morgenrothes und sollte es nicht möglich sein, das geschlossene Haus vor dem Tage zu erreichen?
    »Vorwärts, gehen Sie! murmelte Bridget… Gehen Sie, Clary de Vaudreuil, lassen Sie mich hier!
    – Das ist nicht der Tag, antwortete Clary. Es ist kaum vier Uhr Morgens. Das muß der Widerschein einer Feuersbrunst sein…«
    Clary vollendete den Satz nicht ganz; ihr kam der Gedanke ebenso wie Bridget, daß vielleicht das geschlossene Haus eine Beute der Flammen werde, daß das Versteck des Herrn de Vaudreuil aufgefunden worden sei, daß er und Johann von den Soldaten Whiterall’s gefangen wären, wenn sie nicht bei der Vertheidigung den Tod gefunden

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