Die Familie ohne Namen
wohl oder übel folgen. Vielleicht kam dem geängstigten Notar gar der Gedanke, sich von seinem Stamme wegzustehlen. Doch das hatte seine Schwierigkeiten, denn man überwachte ihn schärfer, als er wohl selbst glaubte.
Und dann, in welchem Lande hätte er sein Wanderleben führen sollen? Das verleidete es ihm, Canada, seine Heimat, zu verlassen. Hielt er sich aber in einem Dorfe der Grafschaft verborgen, wo höchst wahrscheinlich Beamte Gilbert Argall’s auf der Lauer lagen, so lief er Gefahr, diesen bald genug in die Hände zu fallen.
Ueberdies wußte Meister Nick nicht, was aus den Hauptführern des Aufstandes geworden war. Obgleich einige Mahogannis bis zu den Ufern des Richelieu und des St. Lorenzo hinausritten, hatten sie hierüber nichts Bestimmtes erfahren können. Selbst in der Farm zu Chipogan wußte Catherine nicht, was aus Thomas Harcher und ihren Söhnen, was aus Herrn de Vaudreuil und dessen Tochter, nicht, was aus Johann ohne Namen geworden sei, der sich nach den Ereignissen bei St. Charles in das geschlossene Haus zurückgezogen hatte.
Er mußte die Dinge also ihren Lauf nehmen lassen, und das gefiel Meister Nick nicht gar so wenig. Nur Zeit gewinnen und mit der Zeit einen friedlicheren Zustand der Dinge sich herausgestalten sehen, dahin vereinigten sich alle seine Wünsche.
In Bezug hierauf kam es wieder zu neuen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und seinem jungen Schreiber, der die Loyalisten reinweg verfluchte. Die letzten Nachrichten hatten bei ihm dem Fasse noch den Boden ausgeschlagen. Jetzt war keine Zeit mehr zum Scherzen! Er machte keine Witze mehr über den Kriegspfad, über die auszugrabende Streitaxt, über das Blut der Sagamores, noch über den Indianeraufputz, den er sonst so gern im Munde führte. Er dachte jetzt nur noch an die so bedrohte nationale Sache. Was mochte aus dem heldenhaften Johann ohne Namen geworden sein? War er bei St. Charles etwa gefallen? Nein, dann hätte sich die Nachricht von seinem Tode gewiß verbreitet, und die Behörden würden nichts unterlassen haben, diese Verbreitung zu unterstützen. Das hätte Jedermann in Chipogan wie in Walhatta gehört. Doch, wenn er noch lebte, wo befand er sich dann? Lionel hätte das Leben daran gewagt, es zu wissen.
Mehrere Tage verstrichen ohne besondere Veränderung der Lage. Ein-oder zweimal drang allerdings das Gerücht bis zum Dorfe der Mahogannis, daß die Patrioten sich wieder zum Kampfe rüsteten, dasselbe blieb aber ohne Bestätigung.
Auf ausdrücklichen Befehl Lord Gosford’s wurden in den Grafschaften von Montreal und Laprairie die Nachsuchungen fortgesetzt. Zahlreiche Truppenabtheilungen hielten die beiden Ufer des Richelieu besetzt. Fort und fort wurden die Bewohner der verschiedenen Ortschaften durch Haussuchungen in Athem gehalten. Sir John Colborne hatte seine Colonne bereit, sofort nach jeder Stelle abzumarschiren, wo die Fahne der Empörung wieder aufflatterte. So bald die Patrioten es wagten, die amerikanische Grenze zu überschreiten, mußten sie überall auf beträchtliche Streitkräfte stoßen.
Die Huronen zeigten sich bereit, mit ins Feld zu ziehen. (S. 315.)
Am 5. December hörte Lionel, der zur Einziehung von Erkundigungen in der Richtung nach Chambly zu gegangen war, daß im ganzen District von Montreal der Belagerungszustand erklärt worden war. Gleichzeitig bot der General-Gouverneur eine Belohnung von viertausend Piastern Jedem, der den Abgeordneten Papineau einliefern würde. Andere Preise wurden ferner ausgesetzt auf die Gefangennahme der Führer – unter Anderen auf die des Herrn de Vaudreuil und Vincent Hodge’s. Man sagte auch, daß eine große Anzahl Reformer schon in den Gefängnissen von Quebec saßen, daß sie vor das Kriegsgericht gestellt würden und daß das politische Schaffot bald weitere Opfer verschlingen sollte.
Das waren sehr ernste Dinge. Würden nun die Söhne der Freiheit auf die gegen sie erlassenen Decrete durch eine letzte Ergreifung der Waffen antworten? Oder sank ihnen vielleicht der Muth angesichts dieser unwiderstehlichen Gewaltmaßregeln? Das war die Ansicht des Meister Nick. Er wußte, daß die Aufstände, wenn sie nicht gleich im Anfange durchschlagenden Erfolg haben, nur selten oder niemals noch später Aussicht dazu besitzen.
Freilich war das nicht die Anschauung der Mahoganni-Krieger und ebensowenig die Lionels.
»Nein! wiederholte er dem Notar, nein! Die Sache ist noch nicht verloren, und so lange Johann ohne Namen lebt, verzweifeln wir
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