Die Familie ohne Namen
nicht daran, unsere Unabhängigkeit wieder zu erlangen.«
Im Laufe des Tages trat ein Vorfall ein, der Meister Nick wieder derselben schwierigen Lage aussetzen sollte, der er sich glücklich entronnen glaubte, da jener die kriegerischen Neigungen der Huronen bis zum Paroxysmus steigerte.
Seit einigen Tagen hatte man aus verschiedenen Kirchspielen des Landes die Anwesenheit des Abbé Joann gemeldet. Der junge Priester durchwanderte die Grafschaft Laprairie und predigte den Massenaufstand der franco-canadischen Bevölkerung. Seine flammensprühenden Reden kämpften nicht ohne Mühe gegen die Entmuthigung an, von welcher verschiedene Patrioten seit der Niederlage von St. Charles ergriffen waren.
Der Abbé Joann gab sich einer solchen nicht hin. Er ging seinen Weg geradeaus, beschwor seine Mitbürger sich bereit zu halten, um die Waffen zu ergreifen, sobald ihre Führer wieder im Districte erschienen.
Sein Bruder war freilich jetzt nicht da, und er wußte auch nicht, was aus ihm geworden sei. Ehe er seine Wanderpredigten wieder aufnahm, hatte er sich nach dem geschlossenen Hause begeben, um seine Mutter zu umarmen und Nachrichten von Johann einzuziehen…
Das geschlossene Haus blieb vor ihm verschlossen!
Joann machte sich auf, seinen Bruder zu suchen. Auch er konnte nicht glauben, daß derselbe gefallen sei, denn die Nachricht von seinem Tode hätte den verbreitetsten Widerhall finden müssen. So sagte er sich, daß Johann jedenfalls an der Spitze seiner Gefährten zurückkehren werde.
Die Anstrengungen des jungen Geistlichen richteten sich dann vorzüglich dahin, die Indianer aufzuwiegeln, und vor Allen die Krieger huronischen Stammes, welche ja danach verlangten, in den Kampf eintreten zu können. Unter diesen Verhältnissen traf der Abbé Joann bei den Mahogannis ein. Meister Nick mußte ihn schon gut aufnehmen; er hätte den Neigungen seines Stammes sich doch nicht zu widersetzen vermocht.
»Nun, sei es darum! sagte er sich kopfschüttelnd, es kann einmal Niemand seinem Schicksal entgehen. Wenn ich auch nicht weiß, wie die Rasse der Sagamores einst angefangen hat, so weiß ich leider zu gut, wie sie endigen wird!… Das wird vor dem Kriegsgericht sein!«
In der That zeigten sich die Huronen gern bereit, mit ins Feld zu ziehen, und Lionel hatte nicht wenig beigetragen, sie dazu anzureizen.
Seit seinem Eintreffen in Walhatta hatte sich der junge Schreiber als einer der wärmsten Anhänger des Abbé Joann erwiesen. Er fand in demselben nicht allein die ganze Gluth seines eigenen Patriotismus wieder, sondern er wurde auch ganz eigenthümlich berührt von der auffallenden Aehnlichkeit zwischen dem jungen Pater und Johann ohne Namen: fast dieselben Augen, dieselben feurigen Blicke, fast dieselbe Stimme und die gleichen Bewegungen! Er glaubte wirklich seinen Helden im Gewande eines Priesters wiederzusehen, glaubte ihn zu hören… War es nur eine Sinnestäuschung? Er hätte es nicht sagen können.
Seit zwei Tagen befand sich der Abbé Joann in der Mitte der Mahogannis, und diese verlangten nur, sich den Patrioten anzuschließen, welche ihre Streitkräfte in der Entfernung von etwa vierzig Lieues im Südosten, auf der Insel Navy, einer der Inseln des Niagara, zusammengezogen hatten.
Meister Nick sah sich also gezwungen, den Kriegern seines Stammes zu folgen.
In Walhatta wurden die nöthigen Vorbereitungen unmittelbar getroffen. Wenn die Mahogannis ihr Dorf verlassen hatten, wollten sie durch die angrenzenden Grafschaften ziehen, die Bevölkerung indianischen Stammes aufwiegeln, dann sich nach den Ufern des Ontario-Sees begeben und, bis zum Niagara weiter marschirend, sich den letzten Parteigängern der nationalen Sache anschließen.
Da unterbrach eine Nachricht diese Bewegung – wenigstens zeitweilig.
Am Abend des 9. December brachte ein von Montreal zurückkehrender Hurone die Nachricht mit, daß Johann ohne Namen, den die Agenten Gilbert Argall’s an der Grenze von Ontario gefangen hätten, in das Fort Frontenac gebracht worden sei.
Die Wirkung dieser Nachricht kann man sich leicht vorstellen: Johann ohne Namen befand sich in der Gewalt der Königlichen!
Die Mahogannis waren wie vom Donner gerührt, und man denke sich erst die Aufregung, als der Abbé Joann, von dieser Verhaftung unterrichtet, ausrief:
»Mein Bruder!«
Dann fuhr er fort.
»Ich werde ihn vom Tode retten!
– Laßt mich mit Euch gehen! bat Lionel.
– Komm, mein Kind!« antwortete der Abbé Joann.
Siebentes Capitel.
Das Fort
Weitere Kostenlose Bücher