Die Familie ohne Namen
Richtung zu folgen, sahen sich Johann und Lionel freilich genöthigt, noch einmal am Fort vorüberzugehen. In dieser schrecklichen Nacht und inmitten des ungestümen Schneegestöbers liefen sie indeß wenig Gefahr, von einem Wachthabenden bemerkt zu werden, selbst wenn Beide zusammen das schmale Uferland überschritten. Wäre die Fläche des Ontario nicht durch jene Anhäufung von Eismassen an seinen Ufern unzugänglich und der See schiffbar gewesen, so hätte es sich gewiß empfohlen, einen Fischer aufzusuchen, der die Flüchtlinge dann schnell bis zur Einmündung des Niagara hätte bringen können. Doch daran war jetzt nicht zu denken.
Johann und Lionel gingen so eilig dahin, wie es der heulende Sturm irgend zuließ. Sie befanden sich nur noch in geringer Entfernung vom Fort, als das scharfe Knattern einer Gewehrsalve die Luft zerriß.
Eine Täuschung war nicht möglich; das war ein Pelotonfeuer im Innern der Umplankung.
»Joann!«… stieß Johann hervor.
Als wäre er selbst von den Kugeln der Soldaten im Fort Frontenac getroffen gewesen, stürzte er zusammen.
Joann war für seinen Bruder, für sein Vaterland gestorben.
Kaum eine halbe Stunde nach dem Weggange Johanns hatte der Major Sinclair Befehl zur Vollziehung der Hinrichtung gegeben, wie das die von Quebec eingetroffenen Anordnungen verlangten.
Joann war aus der Zelle und nach dem Hofe geschleppt worden, wo er den Tod finden sollte.
Der Major hatte dem Gefangenen das Urtheil vorgelesen.
Joann gab darauf keine Antwort.
In diesem Augenblicke hätte er ja rufen können:
»Ich bin gar nicht Johann ohne Namen!… Ich bin der Priester, der an seine Stelle getreten ist, um Jenen zu retten!«
Der Major wäre damit gezwungen gewesen, die Execution aufzuschieben und neue Verhaltungsmaßregeln vom General-Gouverneur einzuholen.
Johann mußte indeß noch zu sehr in der Nähe des Fort Frontenac sein. Die Soldaten wären zu seiner Verfolgung entsendet worden und hätten ihn ohne Zweifel auch gefunden. Dann wurde dieser doch erschossen – Johann ohne Namen durfte aber nicht anders als auf dem Schlachtfelde sterben!
Joann schwieg, er lehnte sich ein wenig an die Wand und mit den Worten
: »
Mutter!… Bruder!… Vaterland!« stürzte er von vielen Kugeln durchbohrt zusammen.
Die Soldaten hatten ihn lebend nicht erkannt und erkannten ihn auch jetzt im Tode nicht. In einem außerhalb der Umplankung ausgehobenen Grabe wurde er sofort verscharrt. Die Regierung mußte annehmen, mit ihm den gefährlichsten Helden der Unabhängigkeitsbestrebungen unschädlich gemacht zu haben. Das war das erste Opfer dieser Sühne für das Verbrechen eines Simon Morgaz!
Neuntes Capitel.
Die Insel Navy.
Es war im Jahre 1668 und unter dem Befehle des Cavalier de la Salle, als die Franzosen das erste französische Fahrzeug auf dem Gewässer des Ontario segeln ließen. An dem südlichen Ende desselben angekommen, wo sie das Fort Niagara errichteten, drang ihr Schiff in den Fluß gleichen Namens ein bis zu dessen Stromschnellen, drei Meilen von den berühmten Wasserfällen. Dann wurde ein zweites Fahrzeug, stromaufwärts von letzteren gebaut und vom Stapel gelassen, welches auf den Erie-See einfuhr und seine kühne Reise bis zum Michigan-See fortsetzte.
Der Niagara ist ja in der That weiter nichts als ein natürlicher Canal von etwa sechzehn (englische) Meilen Länge, der den Gewässern des Erie-Sees Abfluß nach dem Ontario-See gestattet. Fast genau in der Mitte dieses Canals fällt dessen Grund plötzlich um hundertsechzig Fuß, und zwar an der Stelle, wo der Strom eine Biegung macht und eine Art Hufeisen bildet. Ein Eiland – Goat-Island – schneidet denselben in zwei ungleiche Theile. Zur Rechten wälzt der amerikanische, zur Linken der canadische Fall brausend und donnernd furchtbare Wassermassen in einen Abgrund, über den unablässig dichte Wolken von zerstäubtem Wasser hin-und herwallen.
Die Insel Navy liegt stromaufwärts von diesen Fällen, also nach der Seite des Erie-Sees zu, zehn Meilen von der Stadt Buffalo und drei Meilen von dem Dorfe Niagara-Falls, welch’ letzteres am obern Theile der Fälle erbaut ist, deren Namen es trägt.
Hier hatten die Patrioten gleichsam die letzte Schutzwehr des Aufstandes errichtet, eine Art Feldlager, mitten im Niagara zwischen Canada und Amerika, an der natürlichen Grenze beider Länder.
Diejenigen der Führer, welchen es gelang, den Verfolgungen der Loyalisten zu entgehen, nachdem diese bei St. Denis und St. Charles den Sieg
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