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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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mit an die Thür gelegtem Ohre, und doch verhinderte ihn fast das laute Klopfen seines Herzens, von einem Geräusche draußen etwas zu vernehmen.
    Endlich drangen von weither unbestimmte Laute bis zu ihm. Mit heißem Danke gegen Gott sank Joann in die Knie.
    Das Ausfallsthor war wieder geschlossen worden
    »Frei!« murmelte Joann.
    In der That war Johann nicht erkannt worden. Mit der Fackel in der Hand ihm vorausgehend, hatte der Sergeant ihn, ohne ein Wort zu sprechen, über den innern Hof bis zum Thore des Forts geführt. Officiere und Soldaten wußten noch nicht, daß die Hinrichtung in einer Stunde stattfinden sollte. Bei dem Wachposten angelangt, wo auch nur spärliches Licht brannte, hatte er den Kopf abgewendet, wie sein Bruder ihm empfohlen. Erst in dem Augenblick, wo er durch das Thor gehen wollte, hatte der Sergeant ihn gefragt:
    »Werden Sie wiederkommen, dem Verurtheilten Ihren Beistand zu gewähren?…
    – Ja!« hatte Johann durch Nicken mit dem Kopfe geantwortet.
    Einen Moment darauf hatte er das Thor hinter sich.
    Nichtsdestoweniger entfernte sich Johann nur langsamen Schrittes von dem Fort Frontenac, als ob noch eine Fessel ihn mit seinem Gefängnisse verknüpfte – eine Fessel, die er nicht zu brechen wagte. Er machte sich Vorwürfe, den Bitten seines Bruders nachgegeben zu haben und an seiner Stelle fortgegangen zu sein. Alle Gefahren mit dieser Verwechslung traten ihm jetzt mit der erschreckendsten Deutlichkeit vor Augen. Er sagte sich, daß man wenige Stunden später, wenn es wieder Tag geworden, in die Zelle kommen und seine Entweichung entdecken werde; dann war sein Bruder Joann den rohesten Mißhandlungen ausgesetzt, wenn er für seine heldenmüthige Aufopferung nicht vielleicht gar mit dem Tode büßen mußte.
    Bei diesem Gedanken fühlte sich Johann fast gedrängt, umzukehren. Doch nein! Er mußte ja eiligst bei den Patrioten auf der Insel Navy eintreffen und die aufständische Bewegung damit eröffnen, daß er sich auf das Fort Frontenac warf, um seinen Bruder zu befreien. Da galt es also keinen Augenblick zu verlieren.
    Johann ging in schräger Richtung über das Uferland, und dann noch am Fuße der Palissadenumwallung am See nach dem Walde zu, wo Lionel ihn erwarten sollte.
    Das Schneegestöber wüthete noch ungeschwächt weiter. Die Eisschollen am Ufer des Ontario krachten gegeneinander wie die Eisberge eines arktischen Meeres. In dichten Wirbeln jagte der Schnee dahin, so daß er das Sehen fast zur Unmöglichkeit machte.
    Durch die Flockenhausen, die jeder Windstoß vor sich hertrieb, fast begraben, und unsicher darüber, ob er sich auf der erstarrten Fläche des Sees oder noch auf dem Uferlande befinde, sachte Johann sich zu orientiren, indem er geraden Wegs auf den Wald zuging, von dem er bei der herrschenden Finsterniß kaum etwas wahrnehmen konnte. Nachdem er fast eine halbe Stunde gebraucht, um eine halbe Meile zurückzulegen, gelangte er dorthin.
     

    Der Sergeant hatte ihn über den Hof geführt. (S. 336.)
     
    Offenbar hatte Lionel seine Annäherung nicht bemerken können, denn sonst wäre ihm dieser sicher entgegengegangen.
    Johann schlüpfte unter die Bäume mit größter Unruhe, den jungen Schreiber an dem verabredeten Orte nicht aufzufinden, und wollte dessen Namen nicht rufen, um sich keiner Gefahr auszusetzen, im Falle er von einem verspätet heimkehrenden Fischer gehört würde.
    Da erinnerte er sich der beiden letzten Zeilen aus der Ballade des jungen Dichters, derselben, welche er auf der Farm von Chipogan recitirt hatte! Und etwas weiter in den Wald eindringend, wiederholte er mit halblauter Stimme:
     
    Mit Dir entstehn, Du Wandelflamme,
    Mit Dir vergehn, Du irrend Licht!
     
    Sofort tauchte Lionel aus einem Dickicht in der Nähe auf und lief auf ihn zu mit den Worten:
    »Sie, Herr Johann… Sie?
    – Ja, Lionel.
    – Und der Abbé Joann?…
    – In meiner Zelle! – Doch jetzt schnell, nach der Insel Navy! Binnen achtundvierzig Stunden müssen wir mit unseren Genossen im Fort Frontenac zurück sein!«
    Johann und Lionel traten eiligst wieder aus dem Walde heraus und schlugen eine Richtung nach Süden ein, um am Ufer des Ontario bis zu den Gebieten des Niagara hinunter zu gehen.
    Das war der kürzeste und gleichzeitig derjenige Weg, welcher die geringsten Gefahren bot. Schon fünf Meilen von hier mußten sie, nach Ueberschreitung der amerikanischen Grenze, gegen jede Verfolgung gesichert sein und konnten die Insel Navy dann unaufgehalten erreichen.
    Um dieser

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