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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Politik, welche dahin zielte, die canadischen Provinzen den englischen Händen zu entwinden, war diese Verbrüderung der Geistlichkeit und der Gläubigen keineswegs fremd.
    Der Abbé Joann gehörte, wie bekannt, zum Orden des heiligen Sulpice. Der Leser wird aber kaum wissen, daß dieser Orden als Besitzer eines großen Theiles des Landes seit dessen Eroberung noch heute aus demselben sehr beträchtliche Einkünfte bezieht. Verschiedene Servitute, welche, vorzüglich auf der Insel Montreal im Sinne von Herrenrechten, einst durch Richelieu 1 gewährt wurden, haben noch heute zum Besten der Congregation Geltung. Es folgt hieraus, daß die Sulpicianer in Canada eine ebenso geehrte wie mächtige Gesellschaft bilden, und daß die Priester, welche noch immer die reichsten Landeigenthümer sind, dadurch gleichzeitig einen weitreichenden Einfluß ausüben.
    Die Predigt – man hätte auch sagen können, der feurige Aufruf an alle Patrioten – dauerte gegen dreiviertel Stunden lang. Sie begeisterte die Zuhörer in so hohem Grade, daß sie – ohne die Heiligkeit des Orts – dieselbe mit lautem Beifall beantwortet hätten. Die nationale Faser in ihnen war durch diese eindringliche Anregung neu belebt worden. Vielleicht wunderte man sich darüber, daß die Behörden diese Predigten, in denen sich die Propaganda der Reformer unter dem Deckmantel des Evangeliums verbarg, so ohne Einschränkung gestattete. Es wäre jedoch schwierig gewesen, in denselben eine directe Aufforderung zur Empörung nachzuweisen, und außerdem genoß die Kanzel eine Freiheit, an welche die Regierung nur im äußersten Nothfall rühren wollte.
    Nach Beendigung der Predigt zog sich Johann in einen Winkel der Kirche zurück. Während die Menge sich verlief, wollte er sich vielleicht dem Abbé Joann zu erkennen geben, seine Hand drücken, mit ihm wenige Worte wechseln, ehe er sich wieder zu seinen Genossen im Pachthofe von Chipogan begab. Ja, wahrscheinlich. Die beiden Brüder hatten sich seit einigen Monaten nicht gesehen, da Jeder seine eigene Straße zog, um an demselben Werke der nationalen Erhebung thätig zu sein.
    Johann wartete also hinter den ersten Pfeilern des Kirchenschiffes, als draußen ein heftiges Lärmen entstand, aus dem man Geschrei, Ausrufe und wüstes Geheul vernahm. Es erschien so, als ob die Volkswuth mit zügelloser Heftigkeit ausgebrochen wäre. Gleichzeitig flackerte ein heller Schein über den Platz, von dem einzelne Strahlen selbst ins Kircheninnere drangen.
    Die Woge der Zuhörer wälzte sich hinaus, und, wider Willen mit fortgezogen, folgte ihr Johann bis zur Mitte des Platzes.
    Was ging wohl hier vor?
    Vor den Ruinen des Hauses des Verräthers war ein großes Feuer angezündet worden. Mehrere Männer, zu denen sich auch bald Frauen und Kinder gesellten, ernährten die Flammen, in die sie ganze Arme voll trockenen Holzes warfen.
    Unter den wilden Ausrufen hörte man wohl auch die haßerfüllten Worte:
    »Ins Feuer mit dem Verräther!… Ins Feuer mit Simon Morgaz!«
    Dann wurde eine Art mit Lumpen bedeckter Hanswurst nach den lodernden Flammen geschleppt.
    Johann begriff Alles. Die Bewohner von Chambly verschritten zur Hinrichtung des Elenden in
effigie
, wie man in London noch heute das Bild Guy Fawke’s, jenes verbrecherischen Helden der Pulververschwörung, durch die Straßen schleppt.
    Heute, am 27. September, war der Jahrestag, wo Walter Hodge und seine Genossen François Clerc und Robert Farran auf dem Schaffot den Tod gefunden hatten.
    Vom Entsetzen gepackt, wollte Johann entfliehen… er konnte nicht von der Stelle weg; es schien, als ob seine Füße fest in den Erdboden eingewurzelt wären. So mußte er es denn mit ansehen, wie das Zerrbild seines Vaters mit Schmähworten überhäuft, von Schlägen zerfleischt und mit Koth besudelt wurde, den die Menschenmenge in wahnwitzigem Hasse auf ihn warf, und es erschien ihm, als ob alle diese Schmach auf ihn, Johann Morgaz, zurückfiele.
    Da erschien der Abbé Joann – die Menge wich auseinander, um ihm Durchgang zu gestatten.
    Auch er hatte die Bedeutung dieses Volksauflaufes schnell durchschaut. Da erkannte er auch seinen Bruder, dessen bleiches Gesicht von dem Widerschein der Flammen erleuchtet war, während Hunderte von Stimmen neben dem verhaßten 27. September den verachteten Namen Simon Morgaz’ ausriefen.
    Der Abbé Joann war seiner kaum noch Herr. Er streckte die Arme aus und drängte sich nach dem Scheiterhaufen durch, als die Puppe in die prasselnde Gluth

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