Die Familie ohne Namen
Festmahl seinem Ende, und die durch starke Getränke des Nachtisches erhitzten Gäste machten ihrer Heiterkeit in tausenderlei Gestalt Luft. Von den verschiedensten Seiten der Tafel trank und jubelte man den Neuvermählten zu. Es war ein höchst lustiges Lärmen, aus dem zuweilen lautere Rufe hörbar wurden, wie:
»Glück und Ehre den jungen Gatten!
– Hoch Bernard und Rose Miquelon!«
Ebenso brachte man die Gesundheit des Herrn und Fräulein de Vaudreuil, natürlich auch die Thomas und Catherine Harcher’s aufrichtigen Herzens aus.
Meister Nick hatte der Tafel in größtem Maße Ehre angethan. Beobachtete er dabei nicht die kalte Würde eines Mahogannis, so lag eine solche eben nicht in seiner offenen und mittheilsamen Natur; doch es muß hierzu bemerkt werden, daß auch die Vertreter seines Stammes selbst etwas von ihrem altangeerbten Ernste unter dem Einflusse der guten Mahlzeit und des vortrefflichen Weines abgelegt hatten.
Sie stießen ganz nach Art anderer Leute mit den Gläsern an, um die Familie Harcher, deren Gäste sie heute waren, zu begrüßen.
Während des Nachtisches lief Lionel, der gar nicht an seinem Platze zu halten war, an der ganzen Tafel umher, um jedem daran Sitzenden einige angenehme Worte zu sagen. Als er dabei zu Meister Nick gelangte, hatte er den Einfall, diesem mit volltönender Stimme zuzurufen:
»Wird Nicolas Sagamore nicht auch einige Worte im Namen des Stammes der Sagamores sprechen?«
Bei der glücklichen Geistesverfassung, in der er sich gerade befand, nahm Meister Nick den Vorschlag seines jungen Schreibers nicht übel auf, obwohl dieser sich der emphatischen Sprechweise der Indianer bedient hatte.
»Du meinst, Lionel?… antwortete er.
– Ich meine, großer Häuptling, der Augenblick sei gekommen, um das Wort zur Beglückwünschung der jungen Eheleute zu ergreifen.
– Wenn Du denn glaubst, daß dazu die rechte Zeit ist, erwiderte Meister Nick, so will ich es versuchen.«
Der brave Mann erhob sich und bat mit einer von huronischer Würde getragenen Bewegung um einige Ruhe.
Sofort schwieg Alles still.
»Junges Ehepaar, begann er, ein alter Freund Eurer Familie kann nicht von hinnen gehen, ohne Euch seine Erkenntlichkeit auszudrücken für…«
Plötzlich unterbrach sich Meister Nick, der angefangene Satz blieb ihm auf den Lippen hängen. Seine erstaunten Blicke hatten sich nach der Thür des großen Saales gerichtet.
Auf der Schwelle derselben stand ein Mann, dessen Erscheinen Niemand bemerkt hatte.
Diesen Mann hatte Meister Nick auf den ersten Blick erkannt und er rief in einem Tone, in dem sich Ueberraschung und Unruhe gleichmäßig ausdrückten:
»Herr Rip!«
Eine speciell für diese Dienstleistung gemiethete Schwadron von Negern. (S. 202.)
Dreizehntes Capitel.
Flintenschüsse zum Nachtisch.
Der Chef des Hauses Rip & Cie. hatte diesmal nicht sein eigenes Personal bei sich. Draußen gingen etwa zehn Beamte Gilbert Argall’s auf und ab, und außer diesen hielten noch vierzig Freiwillige den Haupteingang zum Hofe besetzt. Sehr wahrscheinlich war das Haus gänzlich eingeschlossen.
Handelte es sich nur um eine einfache Haussuchung oder um eine Verhaftung, welche dem Haupte der Familie Harcher drohte?
Jedenfalls mußte ein außergewöhnlich wichtiger Grund vorliegen, daß der Polizeiminister es für nöthig gehalten hatte, eine so zahlreiche Mannschaft nach der Farm von Chipogan zu entsenden.
Bei Nennung des Namens Rip von Seiten des Notars fühlten sich Herr und Fräulein de Vaudreuil wie versteinert; sie wußten ja, daß Johann ohne Namen sich im Saale befand. Sie wußten auch, daß gerade Rip den Auftrag erhalten hatte, die Nachforschungen nach ihm in die Hand zu nehmen. Und was konnten sie jetzt anderes denken, als daß Rip nach endlicher Entdeckung seiner Spur zu dessen Verhaftung vorschreiten wolle? Fiel Johann aber in die Hände Gilbert Argall’s, so war er rettungslos verloren.
Auf der Schwelle stand ein Mann. (S. 207.)
Seine größte Willenskraft zusammenraffend, hatte Johann nicht mit einer Wimper gezuckt; kaum flog eine leichte Blässe über das Gesicht des jungen Mannes, und keine Bewegung, nicht einmal eine unwillkürliche, hätte ihn verrathen können. Und doch erkannte er Rip recht gut wieder, mit dem er ja schon an dem Tage zusammengetroffen war, wo der Wagen ihn mit Meister Nick und Lionel von Montreal nach der Insel Jesus beförderte. Rip, den Geheimagenten, der schon seit zwei Monaten seine Fährte aufzuspüren sich
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