Die Familie ohne Namen
bemühte! Rip, den Verführer, dem seine Familie die auf ihr lastende Schande verdankte, indem er seinen Vater Simon Morgaz zu jener Verrätherei verleitete!
Trotz alledem bewahrte er seine Kaltblütigkeit und ließ er nichts von dem tödtlichen Hasse merken, der in ihm kochte, während Herr und Fräulein de Vaudreuil an seiner Seite zitterten.
Wenn Johann indeß Rip kannte, so kannte Rip ihn doch nicht. Er wußte nicht, daß der Fahrgast, den er einen Augenblick auf der Landstraße von Montreal gesehen, der Patriot war, auf dessen Kopf die Regierung einen Preis gesetzt hatte. Er wußte nur, daß Johann ohne Namen sich in der Farm von Chipogan befinden mußte, und zwar hatte er seine Spur folgendermaßen entdeckt:
Wenige Tage vorher war der junge Proscribirte fünf oder sechs Meilen von St. Charles gesehen worden, nachdem er das geschlossene Haus in St. Charles verlassen, und gleichzeitig lief bei der Behörde eine Meldung ein, welche ihn als einen verdächtigen Fremden, der eben der Grafschaft Verchères den Rücken gewendet habe, bezeichnete. Da er bemerkte, daß man auf ihn aufmerksam geworden war, hatte er mehr ins Innere der Grafschaft flüchten müssen, wäre auch dabei mehrmals der Polizei fast in die Hände gelaufen, und nur mit Mühe vermochte er sich bis zur Farm Thomas Harcher’s durchzuschlagen.
Die Agenten des Hauses Rip hatten jedoch seine Fährte nicht mehr, »wie er glaubte«, verloren, vielmehr die fast gewisse Ueberzeugung gewonnen, daß die Farm von Chipogan ihm Unterkunft gewähren müsse. Rip erhielt hiervon sofort Nachricht. Da dieser nicht allein wußte, daß diese Farm Eigenthum des Herrn de Vaudreuil war, sondern auch, daß dieser selbst sich zur Zeit dort befand, so zweifelte er gar nicht mehr daran, daß der Fremde, der eben daselbst verweilte, Johann ohne Namen sein müsse. Nachdem er einige seiner Leute beauftragt, sich unter die zahlreichen Eingeladenen Thomas Harcher’s zu mischen, erstattete er Bericht an Gilbert Argall, der ihm eine Anzahl Polizisten und eine Abtheilung Freiwilliger von Montreal zur Verfügung stellte.
So war es gekommen, daß Rip letzt auf der Schwelle des Saales mit der Ueberzeugung erschien, daß Johann ohne Namen sich unter den Gästen des Farmers von Chipogan befinden müsse.
Es war fast um fünf Uhr Nachmittags. Obwohl man die Lampen noch nicht angezündet hatte, war es im Innern doch ziemlich hell. Mit einem Blick hatte Rip schnell die ganze Gesellschaft überflogen, ohne daß Johann seine Aufmerksamkeit mehr als die anderen im Saale anwesenden Tischgenossen erregt hätte.
Thomas Harcher, der seinen Hof von einer Anzahl Männer besetzt sah, hatte sich inzwischen erhoben und wandte sich an Rip:
»Wer sind Sie? fragte er.
– Ein Agent, beauftragt mit einer Mission seitens des Polizeiministers, antwortete Rip.
– Was führt Sie hierher?
– Das werden Sie sofort erfahren. – Sind Sie nicht Thomas Harcher von Chipogan, Pächter des Herrn de Vaudreuil?
– Ja, und ich frage Sie, mit welchem Rechte Sie in mein Haus eingedrungen sind?
– Gemäß dem mir gewordenen Auftrage will ich eine Verhaftung vornehmen.
– Eine Verhaftung! rief der Farmer, eine Verhaftung in meinen vier Wänden!… Und wen beabsichtigen Sie zu verhaften?
– Einen Mann, auf dessen Kopf laut Bekanntmachung des General-Gouverneurs ein Preis ausgesetzt ist und der sich hier befindet.
– Und der nennt sich?….
– Er nennt sich, antwortete Rip mit lauter Stimme, Johann ohne Namen, oder richtiger, er läßt sich so nennen!«
Auf diese Erklärung folgte ein lang dauerndes Gemurmel. Wie? Johann ohne Namen war es, den Rip verhaften wollte, und er behauptete, daß dieser in der Farm von Chipogan weile?
Das Aussehen des Farmers, seiner Frau, seiner Kinder und aller seiner Gäste verrieth natürlicher Weise eine so tiefe Verblüffung, daß Rip fast glauben konnte, seine Leute hätten sich geirrt und ihn wieder auf eine falsche Fährte geführt. Nichtsdestoweniger wiederholte er sein Verlangen, und diesmal womöglich in noch mehr befehlerischem Tone.
»Thomas Harcher, fuhr er fort, der Mann, den ich suche, ist hier, und ich fordere Sie auf, ihn auszuliefern!«
Bei diesen Worten sah Thomas Harcher seine Gattin an; diese aber packte ihn am Arm und rief:
»So antworte doch auf das, was man Dich fragt!
– Ja, Thomas, geben Sie Antwort! setzte Meister Nick hinzu. Es scheint mir, dieselbe kann Ihnen nicht schwer werden.
– In der That, nicht im Geringsten!« sagte der
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