Die Familie Willy Brandt (German Edition)
an Deinen trockenen Humor.
Das war lebendig. Matthias fegte da rum, und Du hast ihn mal wegen seiner unbekümmerten Art beneidet, in der er sich die Umgebung zu eigen machte, indem er z.B. in einen der wertvollen Tische gesägt hat. Das war auch lebendig. Ebenso Rut, sie habe ich mit einer unprätentiösen heiteren Art in Erinnerung. Für mich war sie so eine Art Hüterin von dem Geheimnis: ›Der Sinn des Lebens ist auch das Leben selbst‹. Zumindest habe ich das als ›geheime‹ Botschaft von ihr an Peter empfunden. Und sie habe ich in Erinnerung, so als ob sie einen stummen Kampf um etwas Lebendiges in diesem Haus führte, mit Matthias als ›Schild‹ und ihren norwegischen Mädchen als Knappen. Ab und an, erinnere ich mich, hat sie ein Putzfimmel überwältigt. (Übrigens auch in Norwegen.) Das empfand ich immer als äusserst bedrohlich.
Und dann eben der Vater. Ein Getüm. Ein Getüm von beherrschten Gefühlen. Eine Erscheinung, plötzlich und unerwartet kam er den Flur langgeschoben. Grüßt stumm und höflich, haut sich vor den Fernseher, knarzt vor sich hin. Unerwartet auch plötzlich humorvoll. Aber oft auch was Bedrohliches.
Ein Haus unbeseelt, mit Euch vier Menschen voller Gefühl, jeder für sich irgendwie irre einsam. So kommt es mir heute vor, wenn ich mich erinnere. Durch Dein Buch erscheint mir alles plötzlich so deutlich vor Augen. Eine mörderische Stille hinter einem arglos arrangierten Alltag.
Aber eben dieser Putzfimmel. Die Räume wurden jeden Tag gereinigt, Flur, Zimmer, jeden Tag gestaubt und gesaugt, fiel mir auf. Rut machte es auch selbst, wenn an einem Tag mal kein Mädchen saugte. Saug, putz, war gar kein Dreck zu sehen. Und in Norwegen mit Salmiak. Man ist fast erstickt an dem Geruch.«
Wo sich ein Druck auf die Körper legt, sucht der Körper Möglichkeiten des Druckausgleichs, gelingt das nicht, schlägt er Alarm. Rut Brandt litt oft unter dem Gefühl, ihrer Rolle nicht mehr gewachsen zu sein. Sie nahm gelegentlich, wie ihr Mann, Beruhigungsmittel wie Valium, um sich über schwere Tage zu helfen. Mit Alkohol ging sie vorsichtig um, schon seit ihrer Kindheit in Norwegen war sie gegenüber diesen Rausch- und Betäubungswegen sehr skeptisch und verfolgte den Alkoholkonsum ihres Mannes mit Sorge. Sie litt regelmäßig an Kopfschmerzen, Gastritis, bekam Magengeschwüre.
Als sie am 20. Oktober 1971 frühmorgens erfährt, dass ihrem Mann der Friedensnobelpreis verliehen wird, schreit sie es übermütig durchs ganze Haus: »Der Nobelpreis! Der Nobelpreis!«. Ihr Mann blieb reserviert, so viel Begeisterung am frühen Morgen? Nein! Als 1972 der CDU-Herausforderer Rainer Barzel mit dem konstruktiven Misstrauensvotum scheiterte und bald die ersten Gerüchte auftauchten, es könnte mit Bestechungsgeldern nachgeholfen und jemand von der Opposition gekauft worden sein, fragt Rut ihren Mann, ob es wahr sei, dass die SPD jemandem von der CDU 50000 Mark angeboten habe, antwortet er achselzuckend: »Woher soll ich das wissen?« Da war er wieder, der Stein, der Unberührbare! Die emotionale und kommunikative Basis der Eheleute wurde auf dem Venusberg Jahr für Jahr schmaler. Wäre es ihnen gelungen, sich im Dialog und Austausch gegenseitig von ihren Bedrückungen zu befreien, hätte die Ehe eine Chance gehabt, aber jeder litt auf seine, dem anderen nicht zu vermittelnde Weise, so dass aus dieser zunehmenden Fremdheit, diesem Aneinandervorbei ein weiteres Druckpotential erwuchs. Als die Ehe sich auflöste, waren die Eheleute physisch und psychisch erschöpft. Willy Brandt erlitt Ende 1978 einen Herzinfarkt, Rut Brandts Körper reagierte später mit einem ebenso lebensgefährlichen Magendurchbruch.
Unvollständig wäre das Bild, wollte man die vielen guten Momente und Ereignisse aussparen, um die Atmosphäre gewollt dramatisch und immerzu lastend zu zeichnen. Rut war ein äußerst geselliger Mensch, und dieses Talent konnte sie auf dem Venusberg auch in besonderer Weise entfalten. Auch die Idee des offenen Kanzlerfestes ging auf ihr Konto. Hier traf man im Garten des Palais Schaumburg plötzlich andere Schichten, es ging vergnügter, bunter, abwechslungsreicher zu, und das Motto ihres Mannes »Mehr Demokratie wagen!« wurde hier ganz anschaulich umgesetzt, denn es wurden erstmals ganz »normale« Mitbürger eingeladen, Handwerker, Feuerwehrmänner, Polizisten, aber auch Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen, daneben Schauspieler, Schlagersänger, Literaten, bildende Künstler und vor allem
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