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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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auch Musiker. Bonn wurde auch durch ihre Initiativen tatsächlich ein bisschen glanzvoller, auf dem Parkett etwas weniger steif, etwas fröhlicher. Und es fanden sich im Haus auf dem Venusberg auch Gelegenheiten, wo ihre und seine Geselligkeit zusammenfanden und den Gästen eine besonders animierende Stimmung im lebendigen Kreis geboten wurde.
    In gewisser Weise waren dieses Haus und seine Bewohner auch auf eine gute Weise unberechenbar. Ja, Spannungen lagen in der Luft, aber auch das Gefühl, jetzt könne gleich etwas ganz Besonderes passieren; eine gewisse Form der Langeweile war hier nicht zu Hause, vielmehr entwickelte sich was, auch wenn es schief war oder schräg, wenn es gärte und grummelte, es passierte was. Jeder werkelte in seinem Laboratorium vor sich hin, entwickelte sich, probierte aus, beobachtete, diagnostizierte. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die jüngeren Söhne Lars und Matthias einen künstlerischen Weg einschlugen, denn dieses Haus auf dem Venusberg lud dazu ein, zwischen sich und der Welt einen Riss zu spüren, Menschen in ihren Rollenzumutungen und Maskeraden zu studieren und ganz verschiedene Sprechweisen aufeinanderprallen zu hören. Hier wurde man im eigenen Haus so an den Rand gedrängt, dass man besondere Sensibilitäten und Empfindsamkeiten entwickelte, um den eigenen Standort zu bestimmen und zu befestigen. In diesem Haus wurden auch unentwegt Kulissen gebaut und verschoben, Unterhändler trafen ein, Limousinen fuhren vor, aus dem Fernseher blickte das Land in ein Haus, dessen Bewohner diesem Land ein Gesicht gaben, man konnte sich hier oben auf dem Berg schon auf einer Spitze, vielleicht einer Nadelspitze fühlen, auf jeden Fall war das kein Allerweltshaus, und selbst Allerweltsprobleme bekamen hier gleich eine ganze andere Gravitation, oder warum standen da die Leibwächter vor dem Haus und hinten im Garten, und warum kam dieser oder jener Präsident hierher? Hier wurde doch um den Frieden gerungen, die Einheit, Abrüstung, Entspannung, Ost-West-Dialog, Völkerfreundschaft, hier sprachen Amerika und die Sowjetunion vor, und das waren ja nun doch keine Zwergenreiche, und um nichts weniger als solche Größen ging es hier in diesem Haus, in dem vier Menschen neben allen anderen Dingen auch Menschen sein wollten und jeder doch zusehen musste, wie er seine Haut rettete.
    Während Matthias dem Haus zunächst noch mit kindlicher Unbefangenheit entgegentritt und es hemmungslos als Abenteuerspielplatz versteht, bringt Lars, der hier als Fünfzehnjähriger einzieht, ein schon entwickelteres Sensorium für die Zumutungen des Ortes mit sich. Die folgenden Zitate, mit denen Lars Brandt hier seine Position und seine Stellung beschreibt, verdanke ich Heli Ihlefeld durch ihr nie veröffentlichtes Buchmanuskript über Rut Brandt. Es ist der einundzwanzigjährige Student Lars Brandt, der hier spricht. Schon auf dem Gymnasium, so erzählt es Thomas Mirow, der seit der gemeinsamen Schulzeit auf dem Cusanus-Gymnasium mit ihm befreundet ist, hätten viele Mitschüler die Nähe von Lars gesucht, sich ihm aufgedrängt, versucht, ihm nahezukommen. Muss da nicht naturgemäß ein Abgrenzungs- und Klärungsbedürfnis entstehen? Lars Brandt gibt 1972 zu Protokoll: »Solange ich denken kann, ist mir bewusst, dass ich selbst, ohne dazu etwas getan zu haben, im Blickpunkt stehe. Ich frage mich immer, wenn jemand meine Bekanntschaft sucht: Was will der von dir? Das ist sicher wieder nur dein Name, der ihn anzieht.« Immer wird sein Name mit dem Vater identifiziert: »Da kann ich mich nun mal nicht heraushalten. Aber es wächst mir manchmal zum Halse heraus.«
    Im Gegensatz zu Peter Brandt, der seinen beruflichen Weg früh gefunden hat – er will derjenige sein, der die Geschichte versteht und deutet –, kann sich der jüngere Lars nicht so entschieden festlegen. Peters Reise als Historiker geht nach außen, Daten, Ereignisse, Entwicklungen außerhalb seines Gesichtskreises wollen beschrieben und eingeordnet werden, Lars hingegen reist eher nach innen, es gilt, subjektivere Wege zu beschreiten. Früh interessiert er sich für Jazz, legt sich umfangreiche Plattenbestände und Kenntnisse zu, er liest viel, spielt Gitarre und beginnt zu malen. Er freundet sich mit Eva und Fritz Berneis an, die für seine Entwicklung eine bedeutsame Rolle spielen. Eva Berneis ist seine Deutschlehrerin, eine ambitionierte und ungewöhnliche Pädagogin, die den Schülern ein tiefes Verständnis von Literatur vermittelt und

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