Die Familie Willy Brandt (German Edition)
und dem privaten Teil unterschieden werden konnte. Als charmante Gastgeberin hatte sie die Stimmung herzustellen, in der den Herren ein munteres politisches Gespräch gelingen sollte, aber das fiel schwer, wenn ihr Mann, gefangen in seinen Stimmungen, nicht aus sich herausfand und seinem Gegenüber das Gefühl vollkommener Entbehrlichkeit gab. Das Eigentümliche an Brandt als Person war ja auch, dass er als Politiker ein Charisma entwickelte, das andere glauben machte, sie seien unentbehrlich für ihn, seine Politik und das Land. Das ist Charisma: in der politischen Arena ein Gefühl von Unentbehrlichkeit erzeugen. Nahezu erschrocken, geradezu schockiert waren dann viele, die diesen Mann persönlich trafen und sich in seiner Nähe überflüssig und fehl am Platz fühlten. So wie Dieter Lattmann in diesem Moment. Rut Brandt musste diesem Schweigen etwas entgegensetzen, es fortzaubern, fortplaudern, mit ihrer Fröhlichkeit wegwischen. Zwar war ihr dieses Naturell von Haus aus gegeben, aber auf dem Venusberg gehörte dazu auch eine eiserne Disziplin, das drückende Schweigen fortzulächeln. Schon die Architektur des Hauses markierte diese Aufgabenstellung. Die privaten Räume befanden sich im ersten und zweiten Geschoss. Im Erdgeschoss lagen die Repräsentationsräume, in denen der Kanzler seine Gäste empfing. Die Einrichtung dieser politischen Zone hatte Rut Brandt mit Hilfe eines Berliner Einrichters übernommen. Die Möbel, Teppiche und Bilder im Erdgeschoss waren samt und sonders geliehen, so kam etwa der große Gobelin, der die Wand des zentralen Empfangsraums zierte, als Leihgabe aus der Münchner Pinakothek: »Übergabe Karthagos an den Sieger Scipio«. Man lebte also im wahrsten Sinne des Wortes im Bundesbesitz. Ganz klassisch und traditionell lagen ein Damensalon und ein Herrenzimmer nebeneinander, ein Arrangement, das die alte Ordnung widerspiegelte: Hier im blauen Rauch der Zigarren, Zigarillos und Zigaretten wurde schwere Politik gemacht, nebenan wurde der leichte Plauderton gepflegt. Dass es bei den Männern immer um Leben und Tod ging, bewies schon die Büste im Herrenzimmer: Sie zeigte den ermordeten John F. Kennedy.
Rut Brandt war, seitdem sie 1967 als Frau des Außenministers auf den Venusberg gezogen war, ungemein viel Sympathie entgegengebracht worden, auch und gerade von den Medien. Diese mediale Gloriole war noch gesteigert worden, als aus der Ministergattin die First Lady, die Frau des Bundeskanzlers wurde. Die liebenswürdige Rut Brandt wurde mit journalistischen Liebenswürdigkeiten überschüttet, und gerade weil sie stets betonte, immer sie selbst bleiben zu wollen, war schwer auszumachen, wo sie selbst noch sie selbst war. Im Laufe ihres Lebens auf dem Venusberg musste dieses Selbstbild, dieser Schein der Normalität – ich bin nur ein armes Mädchen aus Norwegen, ich bin eine ganz normale Frau – immer schwerer aufrechtzuerhalten sein, denn natürlich war sie alles andere als eine durchschnittliche und normale Frau. Gerade weil sie sich so betont normal gab, ein Image, das auch ihrem Mann die Stimmen der Wählerinnen zufliegen ließ, wuchs ihr Ansehen, steigerte sich das Selbstbild zum Vorbild und Überbild, das sich von ihr ablöste und dem sie dann selbst nachlaufen musste.
Die Schlagzeilen flogen ihr zu: »Rut ist meine beste Freundin«, »Mehr Herz in Bonn« »Die Lady auf dem Venusberg«, »Die Frau, die jeder gernhat«, »Noch nie war die Frau eines Kanzlers so bescheiden«. Landauf, landab werden die Hymnen auf Rut Brandt gesungen. Das liest frau sicherlich gern, das zeichnet aber auch ein Idyllen- und Harmoniebild, das einen eigenen eigentümlichen Zwang und sanften Terror ausübt: Es soll, es muss, es wird uns gutgehen. Nach außen praktizierte Rut das Prinzip der selbstbewussten Unterordnung – er soll reden, er regiert, ich diene ihm, ich halte die Familie zusammen –, nach innen litt sie zunehmend darunter, dass die Kommunikation zwischen den Eheleuten immer schwerer wurde. Ja, sie beklagte sich auf ihre humorvolle Weise, aber die Stoßseufzer, die sie aussendete – welche Frau kannte diese Gefühle nicht? –, hatten natürlich einen bitteren Kern. Während der Koalitionsverhandlungen 1969 scherzt sie stöhnend, so dass es die Illustrierten überliefern: »Gut, dass es ein Radio gibt. Mein Mann erzählt mir ja nichts!« Dass er nicht aus der Haut fährt, Gefühle zeigt oder Empörung mit ihr teilt, treibt sie selbst zur Verzweiflung. Als ein Journalist der
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