Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Wehr, giftige Bemerkungen müssen pariert werden. Natürlich bekommt Rut einiges zu hören, schon im Wahlkampf 1969 hatte Brandt den Genossen zugerufen, er sei kein »Säulenheiliger«, und der blendend aussehende Conrad Ahlers war es auch nicht. Da legt man sich, falls man in diesem Kessel aus Gerücht und Gift nicht gegart und gekocht werden will, besser eine wehrhafte Zunge zu. Rut bewunderte Heilwig auch für ihre profunde Bildung und ihre Fähigkeit, nach außen alles auf die scherzhaft leichte Schulter zu nehmen, alles an sich abperlen zu lassen. Unter ihrem Mädchennamen Heilwig von der Mehden veröffentlichte die »Brigitte«-Kolumnistin Bücher mit Titeln wie »Nehmt die Männer wie sie sind. Es gibt keine anderen« oder »Lauter reizende Leute … man merkt es nur nicht immer«, die sich sehr erfolgreich verkauften, weil sie hier im neckisch-scherzhaften Parlando Alltagssorgen aufnahm, ohne in Sarkasmus, Zynismus zu verfallen oder zur offenen Rebellion gegen die Männer aufzurufen.
Zu diesem Frauen- und Freundinnenkreis, die die Politik ihrer Männer richtig finden, sie öffentlich auch loyal unterstützen, die aber um die Diskrepanz von öffentlicher Figur und privater Person, öffentlicher Wortfülle und häuslichem Schweigen nur zu gut wissen, gehört auch Ria Maternus, die Wirtin des Gasthauses »Maternus«, die ebenfalls mit einer robusten, sehr wehrhaften Zunge gesegnet ist. Die burschikose Rheinländerin tanzte im Karneval schon mal mit kess entblößten Beinen auf einem ihrer Wirtshaustische. Ria Maternus verstand sich zudem noch auf die Kuppelei in allen Lebenslagen, im schummrig-rustikalen »Maternus« wurde nicht nur manche Ehe angebahnt oder Scheidung begossen, hier wurden auch Kontakte gehandelt, hier bekamen Journalisten, die einem Minister monatelang hinterherliefen, endlich ihren Termin beim kühlen Stößchen. Das legendäre »Maternus« in Godesberg war ein Klatschknotenpunkt höherer Ordnung, wenn man unter Klatsch auch den informellen Austausch von politischen Informationen, die Anbahnung von manchem Kuhhandel und diskrete Begegnungen über die politischen Lagergrenzen hinweg versteht. Auch Brandts sind hier häufig zu Gast und feiern hier manches Familienfest, bis die Ehe 1980 geschieden wird und Willy Brandt fortan kein gern gelittener Gast mehr ist. Da ist Ria parteiisch.
Um also auf dem Venusberg zu überleben, um dem Druck standzuhalten, um das öffentliche Bild der patenten Kanzlergattin zu konservieren, schützte sich Rut Brandt mit verschiedenen Hüllen. Kleidung war eine wichtige Hülle, schick sein, modern sein, geschmackvoll sein. Kosmetik ist eine andere Haut. Einmal in der Woche geht sie zu ihrer Kosmetikerin und lässt sich intensiv behandeln. Schließlich ummanteln sie auch ihre Freundinnen mit den wehrhaften Zungen und dem desillusionierten Blick. Eine soziale Hülle sind die zumeist norwegischen Hausmädchen, die Rut in Norwegen gezielt im Familien- oder Freundeskreis sucht. Auch die Wohnung ist eine Schutzhülle, Rut Brandt achtet penibel darauf, dass die Räume blitzen.
Als Lars Brandts Buch »Andenken« im Januar 2006 erscheint, wird auch Maria Jänicke an ihre Eindrücke vom Familienleben der Brandts auf dem Venusberg erinnert. Sie will Lars schreiben und gratulieren, aber sie fühlt sich gehemmt, denn sie weiß, wie bedachtsam Peters Bruder Wörter setzt. So entwirft sie zunächst einen Brief, den sie dann aber nicht abschickt, erst eine zweite Version geht auf die Reise. Ich zitiere aus dem daheimgebliebenen Brief, weil er die Atmosphäre jenes Hauses spürbar werden lässt, es ist die Perspektive einer Besucherin, die als Peters Freundin einen wachen Blick für familiäre Schwingungen und Atmosphären hat. Maria Jänicke schreibt am 17. Februar 2006 an Lars Brandt: »Mir fiel als Erstes ein, wie still es bei Euch war, so still und unlebendig, obwohl ich ›lebendige‹ Erinnerungen an Deine Mutter und Matthias habe, auch an Deine Exklave oben, wo Du eine eigene Welt gebaut hattest und uns in atemlosen Vorträgen von allen möglichen ›schwachsinnigen‹ und/oder genialen Leuten berichtet hast, von Leuten, die Du bewundert hast wie Arno Schmidt, oder Deinen Lehrer, auch von Leuten, die Du verachtest hast. Du hast den Witz in manchem gesehen, was wir äußerst ernsthaft betrieben. Und Du hast Dich vor Lachen ausschütten wollen über irgendeine superwichtige Politselbstdarstellung. Ich kann mich an Dein tonloses Schnauben erinnern, wenn Dich was amüsiert hat,
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