Die Familie Willy Brandt (German Edition)
versagen ihm diese Namen, die er wie Hemden wechselt. Es sind transitorische Namen, und Brandt, der viel in Europa umherreist, ist ein Mensch, dessen Identität sich im Transitverkehr bildet. Und immer wieder läuft ihm sein Geburtsname nach, der ihn bedroht, mit dem er eine unglückliche Kindheit verbindet, den er aber noch nicht loslassen kann, da er seine Existenz verbürgt. Ließe er diesen Namen schon jetzt fahren, wäre er praktisch niemand und allen Zuschreibungen ausgeliefert. Erst einige Tage bevor er Carlota Thorkildssen am 30. Juni 1941 heiratet, erfährt die Braut, dass sie und ihre Tochter von nun an Frahm heißen werden: »Ich musste«, vertraut sie später einmal einem Biographen an, »mich erst daran gewöhnen, so genannt zu werden. Vorher hatte ich diesen Namen nie gehört.«
Als Brandt nach Deutschland zurückkehrt und sich entschließt, den Namen zu tragen, der ihn publizistisch auszeichnet und der ihm im Freundeskreis angewachsen und zugesprochen war, muss dieser Name aus der Illegalität erst einmal legalisiert werden, ein Vorgang, der schließlich erst im August 1949 abgeschlossen wird, nachdem der Polizeipräsident von Berlin die entsprechenden Papiere ausgestellt hat. Erst jetzt kann Willy Brandt mit seinem Namen Willy Brandt richtig zusammenwachsen. Umso verletzender muss es für den Heimgekehrten sein, dass eigene Genossen ihm diesen gerade anwachsenden Namen wieder vom Leib reißen wollen. Im Machtkampf mit dem Berliner Landesvorsitzenden Franz Neumann werden gezielt Gerüchte gestreut, und der legalisierte Namenswechsel öffnet Tür und Tor für die haltlosesten Verdächtigungen. Brandt ist empört, außer sich vor Zorn und setzt sich zur Wehr. Er schreibt am 19. Mai 1952 an den Berliner Vorstand und Landesausschuss der SPD: »Bei der Wiedereinbürgerung tauchte dann die Frage meines ursprünglichen Namens auf, mit dem mich fast nichts als eine schwierige Kindheit verband, den meine Mutter nicht mehr trug und den mein Vater nie getragen hatte. Jede andere Entscheidung hätte mich dem Vorwurf aussetzen können, dass ich aus den zurückliegenden Jahren etwas zu verbergen hätte.« Brandt will also mit dem kämpferischen Teil seiner Existenz identifiziert werden, mit seinem Widerstand gegen den Nationalsozialismus, während er seinen Geburtsnamen ablegen will, mit dem er keine geglückte Identität verbindet und der ihm ohne eigenes Zutun verliehen wurde. Brandt macht sich in diesem Moment also zum Selfmademan, zum Schöpfer seiner selbst. Das hat jedoch Tücken, wobei die harmloseste ist, dass ihn die eigene Mutter bis an ihr Lebensende nur Herbert nennen will. Auch dass er in seiner Berliner Zeit häufig Briefe mit dem Namen »Wilhelm Brandt« bekommt, ist zu verschmerzen, schließlich ist Willy die Diminutivform von Wilhelm, und viele Leute wollten sich offenbar nicht vorstellen, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin »Willy« heißt.
Sehr viel einschneidender ist, dass der Namenswechsel zunächst von eigenen Leuten und schließlich vom politischen Gegner dazu benutzt wird, um Brandt zu diffamieren und ihn in ein trübes Zwielicht zu tauchen, das ihm den Anstrich eines Kriminellen verleiht. Als Konrad Adenauer den Kanzlerkandidaten der SPD am 14. August 1961 bei einer Rede in Regensburg »Brandt alias Frahm« nennt, mobilisiert er damit alle Ressentiments und Verdachtsmomente gegen den »Vaterlandsverräter« Brandt. Hat der es sich nicht gutgehen lassen im Exil, während wir bluteten, bombardiert wurden, im Eis vor Stalingrad lagen oder uns der Nazis erwehren mussten? Wo war »Brandt alias Frahm«? Was hat er draußen gemacht?
Adenauer legt die Opferplatte auf sein Wahlkampf-Grammophon und macht aus Brandt einen Täter. Hatte der, so die mitschwingenden Einflüsterungen, nicht mit der Waffe in der Hand gegen die Deutschen gekämpft? Hat er nichts Besseres zu tun, als gleich nach dem Krieg nach Nürnberg zu fahren, um vom dortigen Kriegsverbrecherprozess aus die deutsche Schande in alle Welt hinauszuposaunen? War er nicht in ausländischer Uniform aus dem Exil zurückgekehrt, wohlgenährt, privilegiert und gut besoldet? Hatte der nicht ein Buch mit dem Titel geschrieben »Deutsche und andere Verbrecher«? Tatsächlich trug das 1946 erstmals in Schweden veröffentlichte Buch den Titel »Verbrecher und andere Deutsche«, und es war das genaue Gegenteil eines anklagenden Buches, vielmehr trat es der These von der deutschen Kollektivschuld entschieden entgegen und bemühte sich
Weitere Kostenlose Bücher