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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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den Dokumenten seine Existenz, damit man vom Verfassungsschutz nicht umstandslos als Peter Brandt identifiziert werden konnte.«
    Wenn der Name ein symbolisches Gefäß ist, in das man ein Leben hineingießen kann, dann hat Willy Brandt, als er 1933 seinen neuen Namen wählte, seine Identität ausgeschüttet, das alte Gefäß zerschlagen und das neue Tropfen um Tropfen gefüllt. Möglicherweise hat es Brandts Biographen auch deshalb immer umgetrieben, warum sich Herbert Frahm Willy Brandt nennt. Was war Willy an diesem Mann und was Brandt? Was verrät dieser Name über den Menschen? Auf seinem Grabstein, hat Brandt einmal gesagt, solle stehen »Man hat sich bemüht«. Man. Kein Ich. Kein Name. Er hat sich anders entschieden. Da steht jetzt nur ein Name. Willy Brandt. Kein Geburts- und kein Sterbedatum, kein anderer Trostspruch. Er hat sich ein Leben lang bemüht, diesen Namen mit Leben zu füllen, er hat ihn verteidigt und aus dem Allerweltsnamen einen Namen gemacht, den nun alle Welt kennt. Und jetzt steckt alles in diesem symbolischen Gefäß, in diesem Namen, der alles heraufbeschwört, was wir mit ihm verbinden.
    Willy Brandt.

Asche und Glut
    Unter der Asche liegt, lauert die Glut. Trägt die Zigarette einen grauen Hut, eine Krone oder einen Schirm? Man kann im Aschemantel durch die Tage gehen, und niemand ahnt, dass man brennt. Für wen, für was? Zerdrückte Zigaretten sehen – wenn sie beieinander liegen – seltsam lebendig aus.

    An das Jahr erinnert sie sich nicht genau. Es muss sich zwischen 1961 und 1965 zugetragen haben. Die Szene spielt zweifelsfrei in Bonn. Es war die Zeit, als Willy Brandt die Bonner Bühne als Kanzlerkandidat betrat, es waren die Jahre, als Brandt zunächst Adenauer und dann Ludwig Erhard herausforderte, es waren Jahre, in denen sein Erfolg und Scheitern ineinander verflochten waren. Heli Ihlefeld ist in dieser Zeit eine der ersten politischen Journalistinnen in der Bundeshauptstadt. An diesem Abend sitzt sie in der Kneipe »Rheinlust« an der Adenauerallee. Die »Politpinte« ist ein beliebter Treffpunkt der politischen und journalistischen Szene, eher ein »Hinterbänkler«-Lokal, hier sind vor allem die »Kanalarbeiter« der SPD zu Hause, jene lockere, gleichwohl einflussreiche Gruppe eher rechter und gewerkschaftsnaher Sozialdemokraten, die es – im Leben und der Politik – deftig und traditionell lieben, die in der Kantine des Bundestages schon mal mitgebrachte Würstchen auspacken und öffentlichkeitswirksam verspeisen, um gegen die mickrigen Portionen zu protestieren, und die in der »Rheinlust« vor allem Bratkartoffeln, Reibekuchen mit Speck oder Sauerkraut bestellen und die, rechtschaffen beleibte Männer, nach einem langen, trockenen Tag im Parlament die Ärmel aufkrempeln, Skat dreschen und ein kühles Bier bestellen. Männergefilde, markiges Gelächter, einverständnisheischende Ellenbogen, lüsterne Witze, blaugrauer Rauch, schweres Geschütz: Pfeife, Zigarre, Zigarette, Qualmen aus allen Rohren.
    Obwohl ich oft mit Heli Ihlefeld gesprochen habe – wir haben uns in Bonn im Archiv getroffen, wir sind am Tag der Offenen Tür zusammen durch das Berliner Kanzleramt spaziert, und wir haben mehr als einmal in ihrer Kreuzberger Wohnung gesessen und lange geredet –, habe ich diese Szene nie richtig auffassen können, nie richtig für mich verstehend rekonstruieren können, obgleich ich meine Gesprächspartnerin mehrfach gebeten habe, mir diese Episode zu erzählen, und ihr mein Unvermögen dabei offen eingestanden habe.
    Es ist wieder voll in der »Rheinlust«. Alle Tische besetzt, Mann/man steht, dicht an dicht, raucht, trinkt. Heli Ihlefeld hingegen sitzt. Sie ist mit ihrem späteren Mann Hermann Otto Bolesch hier, Freunde nennen den politischen Journalisten, der zahlreiche Anekdotenbände über Bonner Politiker verfasst hat, »Hobby«. Bolesch ist ein geselliger, trinkfestfreudiger Typ, Jahrgang 1921 und damit vierzehn Jahre älter als seine Freundin. Brandt, bierselig, steht dicht an ihrem Tisch oder neben ihr, zumindest so, dass sie ihn gut beobachten kann, und er beobachtet sie. Er ist in ein Gespräch gebunden, aber ein Teil seiner Aufmerksamkeit vagabundiert. Er ascht ab. Er schnippt, leicht, ganz leicht, mit dem Zeigefinger auf seine Zigarette. Die Asche fällt auf ihre Schulter, auf ihr Haar. Das sei, sagt sie, »keine aktive Anmache« gewesen, aber es war doch ein Zeichen, ein Aufmerksamkeitsersuchen. An diesem Abend beginnt nicht die Liebesgeschichte,

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