Die Familie Willy Brandt (German Edition)
um einen differenzierten Blick auf die Deutschen während des Nationalsozialismus. Insgeheim machten sich Adenauers Vorwurf und die flankierende Pressekampagne aus dem rechten Lager mit der nationalsozialistischen Regierung gemein, die Herbert Ernst Karl Frahm am 5. September 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen hatte. Dieses »Brandt alias Frahm« sagte nichts anderes als »Das ist keiner von uns!«.
Dass Adenauer und auch Franz Josef Strauß seinen alten Namen hervorzogen, ihn als Stigma benutzten, verletzte Brandt auch deshalb so sehr, weil damit die alte Schamexistenz, das missglückte In die Welt hineingestoßen Werden wieder auftauchte. Sich Willy Brandt zu nennen, sich so rufen zu lassen war für den Politiker und Menschen Brandt ein konstruktiver Akt, ein schöpferischer Moment der Selbstfindung, wohingegen die Attacken des politischen Gegners darauf abzielten, den Namenswechsel als zigeunerndes Verwirrspiel, als Taschenspielertrick erscheinen zu lassen. Vielleicht muss man vor diesem Hintergrund auch sehen, dass Brandt in seinem letzten Buch, das nur schlicht »Willy Brandt. Erinnerungen« heißt, sowohl die Ernennungsurkunde zum Regierenden Bürgermeister (ausgestellt am 14. November 1957) als auch zum Bundeskanzler (ausgestellt am 21. Oktober 1969) in Faksimile abdrucken lässt. So als gäbe es vor der Welt noch den leisesten Zweifel, dass dieser Selfmademan Willy Brandt tatsächlich urkundlich beglaubigt existiert hätte. Schließlich beginnt der Urkundentext unübersehbar mit der Formulierung »Im Namen der Bundesrepublik Deutschland …« Eine bessere Rehabilitation kann es für den Vielverwundeten Brandt nicht geben, als dass auf einem unantastbaren Dokument sein nunmehr unantastbarer Name mit dem Namen des Landes vermählt wird, es ist eine Heimkehr, eine Hochzeit zwischen Heimat und Heimatlosem, die nicht wieder auszulöschende Gravur eines bezweifelten Namens. Wer sich erst über Jahrzehnte hinweg einen Namen erwerben und ihn verteidigen muss, wird auch Schwierigkeiten haben, »Ich« zu sagen, denn im Akt des Ich-Sagens identifiziert sich das »Ich« mit sich selbst und mit denen, die es erkennen und annehmen wollen. Brandt, das ist vielfach beschrieben worden, litt als Redner und auch als Autor lange Zeit unter einer Ich-Schwäche, lieber wich er ins Unpersönliche aus, verbarg sich hinter dem Plural »wir«, einem unpersönlichen Pronomen wie »man«, sprach gar in der dritten Person von sich oder verfiel auf so umständliche Formulierungen wie »der, der hier zu Ihnen spricht«. Egon Bahr sieht diese Ich-Schwäche, diese Scheu vor dem Ich erst durch die Verleihung des Friedensnobelpreises überwunden: »Er bedeutete für Brandt, von allem anderen abgesehen, seine Befreiung zur Normalität des ›Ich‹. […] Während der Jugendzeit und in der Emigration hatte er gelernt, vorsichtig und möglichst sachlich zu formulieren. Das ›Ich‹ blieb besser unausgesprochen. Das gab dem Stil des Regierenden Bürgermeisters und selbst noch des Außenministers etwas Schwebendes, Unbestimmtes. Wir vermissten den klaren Führungsanspruch. Die Rede, mit der er den Friedensnobelpreis annahm, markierte einen erstaunlichen Einschnitt in seinem Redestil. Ich war beglückt, mit welcher Selbstverständlichkeit er plötzlich das ›Ich‹ in seine Rede hineinkorrigierte.«
Aus anderen Gründen haben sich die Söhne Willy Brandts mit seinem Namen beschäftigt. Mitunter begegneten sie schmähenden Zeichen, die sie aber nicht ernstlich angriffen oder tiefer ins Selbstwertgefühl bohrten. So berichtete Lars Brandt, dass er im S-Bahnhof Grunewald las, was dort jemand an die Wand geschmiert hatte: »Frahm? Infam!« Vor allem die Blödheit des Reims sei ihm im Gedächtnis geblieben, schreibt Lars Brandt in »Andenken«. Dort findet sich auch eine Passage, die zeigt, dass die Identitätssuche des Vaters die Söhne beschäftigte, ohne sie jedoch einstweilen zu beunruhigen. »Manchmal« , schreibt Lars Brandt, »lag neben der kalten Pfeife liniertes Papier auf seinem Schreibtisch, ein Brief seiner Mutter: Lieber Herb.! Die altmodische Ökonomie der Abkürzung berührte mich fremdartig, vielleicht stärker als die offene Frage, wer eigentlich mein Großvater war. Längst benutzte V. einen anderen Vornamen. Hieß auch nicht mehr Frahm mit Familiennamen, wie seine Mutter, bevor sie heiratete. Besuchte ich sie und ihren Mann, den ich Opa nannte, obwohl er es nicht war, las ich auf der Klingel des Lübecker
Weitere Kostenlose Bücher