Die Familie Willy Brandt (German Edition)
das reaktionäre Echo war die dauerhafte Ablehnung des Bildes durch Brandts Nachfolger Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Als Schmidt 1976 in das neue Bonner Bundeskanzleramt einzog, etablierte er in dem flachen, rost-braunen Büchsenbau, dem er den »Charme einer rheinischen Sparkasse« bescheinigte, eine Ahnengalerie, die die Porträts aller Bundeskanzler seit 1949 zeigen sollte. Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt. Demokratische Traditionspflege sollte das sein, Bildung eines demokratischen Bewusstseins durch Repräsentation, durch innehaltende Rückschau. Im Frühjahr 1976 lässt Schmidt Brandt übermitteln, er wünsche sich ein Bild von ihm für die Ahnengalerie, worauf Brandt seinen Nachfolger wissen lässt, ihm wäre es willkommen, wenn man zu diesem Zwecke Meistermanns Gemälde ankaufen würde. Es sind die Büros der beiden Männer, die miteinander »sprechen«, Briefe austauschen, Schmidt und Brandt schweigen. Man versucht, Brandt den Prominentenmaler Günter Rittner schmackhaft zu machen, der bereits Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger für das Kanzleramt verewigt hat, doch Brandt lehnt das ab. Er beharrt vielmehr darauf, dass Meistermann ihn ein zweites Mal malen solle. Daraufhin lässt Schmidt den Maler ins Kanzleramt kommen, erläutert ihm Sinn und Zweck der Ahnengalerie und wünscht sich, dieses Mal möge doch bitte schön ein »ähnliches Bild« entstehen. Meistermann fühlt sich brüskiert, bricht das Gespräch wütend ab und empfiehlt dem Kanzler im Hinausgehen, er solle es doch besser »mit einem Foto versuchen«. Trotz dieses Disputs wird Meistermann im Februar 1977 der Auftrag für das Brandt-Porträt erteilt. Der Maler macht sich ein zweites Mal an die Arbeit, es kommt zu vier ausführlichen Sitzungen. Am 20. Februar 1978 wird das Bild in der Kanzlergalerie enthüllt und der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Reaktionen sind erneut zwiespältig, obgleich dieses zweite Brandt-Gemälde deutlich zugänglicher ist als das erste Bild. Helmut Schmidt stichelt in Richtung Brandt: »Du hast ja gar keine Krawatte?«, woraufhin Meistermann schlagfertig erwidert: »Dafür hat er eine weiße Weste!«
Mit der Wahl des Bundeskanzlers Helmut Kohl am 1. Oktober 1982 endete nach 13 Jahren die sozialliberale Koalition. Die »Wende«, die Kohl ausrief und forderte, machte auch vor der Ahnengalerie im Kanzleramt nicht halt. Für Kohl war das komplexe Meistermann-Porträt ein Ärgernis, es sollte weg. Im Dezember 1982 umwarb er den Altkanzler, er möge sich doch bitte noch einmal porträtieren lassen. Und dieses Mal solle das Abbild doch bitte »ähnlicher« ausfallen. Brandt gab schließlich nach. Der Düsseldorfer Porträtmaler Oswald Petersen übernahm den Auftrag und lieferte ein Bild, das niemanden überforderte und kaum Nachdenklichkeit abverlangte. Im Gespräch mit seinem Büroleiter Klaus-Henning Rosen, der ihn fragte, ob es ein Fehler gewesen sei, sich von Meistermann für die Kanzlergalerie malen zu lassen, räumte Brandt ein: »Geirrt habe ich mich hinsichtlich der Fähigkeit oder Bereitschaft derer, die an dieser kleinen Galerie vorbeigehen, sich mit einem Bild zu beschäftigen, das sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Das sah der jetzige Hausherr offenbar realistischer.«
Willy Brandt vor dem zweiten Meistermann-Porträt
[Klaus-Henning Rosen/BPA/Georg-Meistermann-Nachlassverwaltung. Dr. J. M. Calleen/VG Bild-Kunst, Bonn 2013]
Heute hängt das erste Meistermann-Gemälde im zweiten Stock in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, auf einem freudlos-kargen Flur, halb verdeckt von einem Gummibaum. Als ich mit einem Notizblock vor dem Bild stehe, kommt ein Mitarbeiter vorbei, dreht sich um, bleibt stehen und sagt: »Man könnte meinen, da sei ein Tierzeichner am Werk gewesen, es hat so einen Gorilla-Ausdruck.« Eine junge muslimische Angestellte mit Kopftuch mutmaßt: »Ist das der Friedrich? Soll ich mal meinen Chef fragen?« Vielleicht, denke ich, ist das Gemälde hier gar nicht schlecht aufgehoben. Was soll es in Berlin? Im Kanzleramt? Hier lässt man Brandt in Ruhe, niemand beobachtet ihn. Hier muss er für niemanden eine gute Figur machen. Klaus Harpprecht, einer seiner engsten Mitarbeiter in den siebziger Jahren, beobachtete 1973, wie Brandt von dem Berliner Maler Manfred Bluth porträtiert wurde: »Habe WB noch selten so verkrampft gesehen: unglücklich, verhangen. Kaum zum Lachen zu reizen. Holt sich im Gespräch immer wieder zurück. Nichts liegt ihm weniger, als zu posieren – er
Weitere Kostenlose Bücher