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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Webb
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seinen Großeltern, aber es gab da wohl Meinungsverschiedenheiten, und so schlief er meist bei Freunden auf dem Sofa. Nach Shawan Castro wurde seitens des Familiengerichts gefahndet. Er ist vor einiger Zeit aus einer Einrichtung weggelaufen.«
    »Und was genau wollen Sie jetzt von mir?«
    Er schloss den obersten Hefter des Stapels, der vor ihm lag.
    Rasch griff sie über den Tisch und zog den Aktenstapel auf ihre Seite herüber, bevor er seine Meinung noch mal ändern konnte.
    »Das sind Kopien von allem, was unserer Meinung nach für Sie wichtig sein könnte. Wir haben bei ACS die Fallakten angefordert. Was ich Ihnen hier gebe, haben unsere Ermittler bereits gesichtet. Aber ich dachte, vielleicht verhilft Ihnen Ihr Fachwissen zu einer Erkenntnis, oder Sie entdecken etwas, das wir übersehen haben, weil Sie mit dem Feld besser vertraut sind. Alles, absolut alles, was irgendwie auf eine Verbindung zwischen den Opfern hindeuten könnte, will ich sofort wissen. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, ob es zu unbedeutend ist. Damit befassen wir uns dann schon. Und sollten Sie feststellen, dass Sie Informationen brauchen, die nicht in diesen Akten stehen, dann geben Sie mir Bescheid.
    Ein große Sonderkommission arbeitet an diesem Fall. Kriminalbeamte vom Morddezernat, das Büro der Staatsanwaltschaft und weitere. Ich bin Ihr Kontaktmann. Der zuständige Ermittlungsleiter Stephen Russo ist ein guter Mann, aber bitte unterrichten Sie mich, bevor Sie ihm irgendetwas zutragen, ja?«
    Katherine zog die Akten noch näher an sich heran. »Klar«, sagte sie. »Ich hab's begriffen.«

5
    In dieser Nacht träumte sie von Jonathan. An eine Mauer gekettet, zerschnitten und blutend. Sie konnte ihn nicht befreien, obwohl sie es immer wieder versuchte. Er konnte sie nicht sehen. Sie rief wieder und wieder seinen Namen, aber er merkte gar nicht, dass sie da war. Er glaubte, dass er ganz allein in einem stockfinsteren Raum starb.
    Schweißgebadet und mit rasendem Herzen wachte sie auf. Eine Weile lag sie reglos neben der sanft schnarchenden Miss Bennett. Ihr Puls beruhigte sich langsam, aber wieder einzuschlafen schien jenseits des Möglichen. Sie schlang die Bettdecke um sich und zog mit ihrem einzigen Stuhl auf die kleine Betonplattform, die ihre Frontveranda darstellte. Dort hockte sie und sah zu, wie der Himmel langsam hell wurde.
    Als Seth erblindete, war das irgendwie das Schlimmste. Er hatte Farben und Konturen geliebt. Als Junge hatte er ständig in seinem Zimmer gesessen und mit bunten Malstiften gezeichnet, sehr sorgfältig. Bei Katherines letztem Aufenthalt zu Hause war er bereits blind gewesen.
    Später war er auch taub geworden. Katherine war bei ihm, als er starb. Aber sie würde nie erfahren, ob er gewusst hatte, dass sie da war. Sie saß auf der anderen Seite des Zimmers im Sessel und las, und als sie aufsah, war er tot. War ihm in diesen letzten Momenten der Dunkelheit und der Stille bewusst gewesen, dass sie bei ihm war?
    Als es vollends Tag wurde, nahm sie Miss Bennett mit auf einen langen Spaziergang. Die Luft des frühen Morgens stach kalt ins Gesicht, die Straßen lagen leblos da. Es war immer noch ungewöhnlich früh, als sie zur Arbeit aufbrach.
    Das Gerichtsgebäude, um diese Zeit nahezu ausgestorben, kam ihr seltsam und unvertraut vor. In ihrem Büro holte sie die Akten, die Mendrinos ihr gegeben hatte, aus ihrer Leinentasche und betrachtete dann verstimmt die Oberfläche ihres Schreibtischs. Diane hatte natürlich recht, es war ein Saustall. Sie wollte nicht riskieren, dass sich die Unterlagen der Mordermittlung mit denen ihrer Fälle mischten.
    Zur Vorbereitung stemmte sie die Hände in die Hüften und bog den Oberkörper einmal weit nach rechts, dann nach links. Als sie sich wieder streckte, blieb ihr Blick an etwas Hellem auf dem Aktenschrank hängen. Ihr fiel nichts ein, was sie dort vergessen haben könnte.
    Nach kurzem Zögern trat sie näher, um es sich genauer anzusehen. Sie tat zwei Schritte und lachte los. Jemand – das musste Diane gewesen sein, Annie würde so etwas nie tun – hatte die beiden anatomischen Puppen, die in der Arbeit mit sexuell missbrauchten Kindern als nonverbale Darstellungshilfe der Vorgänge gebraucht wurden, in Fellatiostellung arrangiert. Die Latzhose der kleinen Männerpuppe war heruntergezogen und hing um seine runden Füße, während die braunen Zwirnzöpfe der kleinen Frauenpuppe mit den roten Schleifchen über seine Wurstbeinchen hingen. Eindeutig Dianes Handschrift,

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