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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Webb
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verpackten Kleidungsstücken, ging sie zu ihrem Wagen zurück und sah an einem Laternenpfahl ein weiteres Flugblatt. Während sie aus der Parklücke rangierte, bemerkte sie noch eins an einem Briefkasten. Bis sie nach Hause kam, hatte sie den Eindruck, dass auf jeder vertikalen Fläche in der Gegend so ein Flugblatt klebte. Eine Armee von Polizisten und Freiwilligen durchkämmte die Gegend, klopfte an jede Tür und befragte jeden.
    Als sie später mit Miss Bennett ihre Wohnung verließ, kam ihr schlagartig zu Bewusstsein, dass sie Brian tatsächlich vermisste. Er war so überglücklich gewesen an dem Tag, an dem er ihr erzählte, wie verliebt er war. Natürlich hatte sie gewusst, dass das dicke Ende nachkommen würde, aber sie hatte überhaupt nicht mit einer Entwicklung der Art gerechnet, die jetzt eingetreten war. Damit Brian bei der Jagd auf seinen Geliebten half, hatte man enormen Druck auf ihn ausgeübt, da war sie sicher. Armer, hilfloser Brian. Er musste in den letzten Tagen durch die Hölle gegangen sein.
    Sie fragte sich, was Brians ›Kooperation‹ alles umfasste. Mindestens bedeutete das polizeilichen Zugang zu seinem Computer und Aufzeichnung seiner Telefongespräche. Brian musste sich einverstanden erklärt haben, den Mann in eine Falle zu locken, so dass er verhaftet werden konnte und ins Gefängnis kam. Sah Brian sich nun als Opfer sexuellen Missbrauchs? Glaubte er, dass er dazu beitrug, einen Verbrecher der gerechten Strafe zuzuführen? Oder hatte er bloß irgendwann den Punkt erreicht, wo er alles gesagt oder getan hätte, um nur endlich in Ruhe gelassen zu werden? Seine Eltern, die Cops, die Staatsanwaltschaft, sie alle hatten aus Leibeskräften Terror gemacht, damit er dabei half, seinen Liebhaber zu fangen. Wie war das für ihn gewesen? Sie konnte sich nicht vorstellen, was ein derartiger Druck bei einem sensiblen Jungen wie Brian anrichten mochte.
    Sie hatte selbst schon Kinder unter Druck gesetzt, damit sie aussagten. Freundlich natürlich und mit der Erlaubnis des Rechtsbeistandes, und nur, wenn sie überzeugt war, es wäre im Interesse des Kindes das Beste. Da gab es irgendwo eine moralische Grenze, und sie glaubte nicht, sie je überschritten zu haben. Doch angesichts des Unterschieds in Macht und Position gab es natürlich immer einen Aspekt von Zwang, wenn sie ein Kind zur Aussage drängte.
    Wog der Nutzen, den sie für die Kinder bewirkte, die Verletzung ihrer Psyche auf? Sie würde es nie genau wissen. Und sie würde wahrscheinlich so weitermachen. Weil es Kinder waren und sie eine Erwachsene, und weil es das war, was sie zu tun hatte: sie vor ihren Familien zu schützen.
    Ob Brian wohl fand, dass er seinen Geliebten verraten hatte? Oder seine Familie, seine Religion, die Polizei? Oder einfach alle?

18
    Lenny Rutland war immer noch vermisst. Es war, als wäre er an jenem Nachmittag aufgebrochen, um Bonbons zu verkaufen, und dann vom Erdboden verschluckt worden. Aber obwohl er verschwunden blieb, war er allgegenwärtig. Die Fotografie des blond gelockten Jungen lächelte aus jeder Zeitung der Stadt, und Eltern aller fünf Bezirke gerieten jedes Mal in Panik, wenn ihre Kinder sich ein paar Minuten verspäteten.
    Malone näherte sich Russos Schreibtisch mit zwei schokoladenglasierten Donuts. »Einer ist für dich.«
    »Ach? Du versuchst mich also umzubringen?«
    Er nahm ihr einen Donut aus der Hand, ohne aufzublicken, und biss kräftig hinein.
    »Hast du Hicks durch den Rechner gejagt?«, fragte er mit vollem Mund.
    »Jo, hab seine aktuelle Adresse.«
    »Was sitzen wir dann hier rum und fressen Donuts?«
    »Ich bin bereit, wenn du's bist.«
    »Warte, ich muss noch den Donut aufessen, den du mir mitgebracht hast, denn sonst wär ich ja unhöflich, nicht wahr? Und ich will nicht unhöflich sein.«
    »Klar«, erwiderte Malone mit unbewegter Miene und setzte sich auf den Stuhl vor seinen Schreibtisch.
    »Und diese Donuts sind für 'n Arsch ohne Kaffee«, bemerkte Russo und zog mit seinem Becher los.
    Das Apartmenthaus, in dem Hicks wohnte, war nicht gerade ein städtebauliches Glanzstück. Aber immerhin solider, als Russo es erwartet hätte bei einem Kerl Anfang zwanzig, der in Jugendheimen aufgewachsen war. Seine Wohnung lag im vierten Stock. Sie brauchten unten nicht zu klingeln, da die Haustür offen stand.
    Malone wusste, wie Russo zu alten, klapprig aussehenden Fahrstühlen stand, also kraxelten sie die vier Treppen hoch. Als sie an Hicks' Tür ankamen, klopfte Malone kräftig an. Da

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