Die Farbe Der Leere
Raum erschreckte. Katherine ging erneut einen Krankenwagen für Lamar rufen.
Katherine hatte die Familie Hicks nicht zum letzten Mal gesehen. Dreizehn Monate später standen sie wieder vor dem Familiengericht. Ein anonymes Mitglied der Familie der Mutter hatte Anzeige erstattet. Diesmal lautete die Anschuldigung, der Vater würde Lamar misshandeln und sexuell missbrauchen.
Mrs. Hicks hatte einen Großteil ihres Gewichts verloren. So viel, dass Katherine sie beinahe nicht erkannte. Erneut beharrte sie darauf, ihr Mann könne unmöglich etwas getan haben, was seinem Kind Schaden zufügte. Die ärztliche Diagnose vermerkte einen überdehnten Schließmuskel sowie Hämatome und Striemen auf dem Rücken. Diesmal wollte Lamar nicht wieder nach Hause. Aber er weigerte sich weiterhin zu reden.
Mr. Hicks war genauso empört wie ein Jahr zuvor. Die Stadt habe ihm schon eins seiner Kinder gestohlen, erklärte er, und er werde nicht zulassen, dass ihm sein letztes Kind, das Licht seines Lebens, auch noch genommen wurde.
In Erklärungsnot wegen der Blutergüsse seines Sohnes beschuldigte er die Schläger der Nachbarschaft, die jetzt Jagd auf Lamar machten, wo seine Schwester nicht mehr da war, um auf ihn aufzupassen.
Lamars Asthma hatte sich beträchtlich verschlimmert. Bei seiner ersten Unterbringung nach der Inobhutnahme musste er drei Mal ins Krankenhaus gefahren werden. Als der Pflegefamilie diese Bürde zu schwer wurde, verlegte man ihn in eine andere. Es ging ihm schließlich gut genug, um vor Gericht zu erscheinen, aber Katherine sank das Herz, als sie ihn sah. Er war schmerzhaft dünn, schweigsam und in sich gekehrt. Er sah niemandem in die Augen.
Katherine wälzte die Entscheidungen, die sie vor einem Jahr getroffen hatte, hin und her, aber ihr fiel nichts ein, was sie hätte anders machen können. Und doch waren Mutter und Sohn vor ihren Augen zerbrochen.
Da Lamar mit niemandem mehr sprach, kamen die einzigen brauchbaren Informationen, die Steve auftreiben konnte, von seiner neuen Pflegemutter. Sie erwähnte, dass Lamar unablässig zeichnete, geradezu zwanghaft. Der Grund, aus dem sie das vorbrachte, war ihre Forderung nach einem zusätzlichen Budget für Stifte und Papier. Wenn Lamar das Material ausging, stahl er Geld aus ihrem Portemonnaie, um sich Nachschub zu kaufen, sagte sie. Und sonst schien er an nichts Interesse zu haben.
Sie stellte auch klar, dass sie die Zeichnungen von Lamar nicht guthieß. Sie machten ihr Angst. Diese Bilder ließen sie an Voodoo denken, sagte sie. Als Steve um ein Beispiel bat, gab sie ihm einen Stapel mit: »Er wird sie nicht vermissen, er hat Hunderte davon in seinem Zimmer.«
Nachdem Steve den Stapel durchgesehen hatte, fühlte er sich krank bis in die Eingeweide.
Eine Zeichnung war besonders verstörend, obwohl wunderschön ausgeführt. Sie zeigte ein Mädchen, nackt, das in einem Zimmer mit einem Bett stand und in einen Spiegel sah. Hinter ihr, kaum erkennbar, stand ein Mann, der Lamars Vater ähnlich sah.
Ein anderes war ein Portrait, da war Steve sicher, von Mr. Hicks. Mit seinen schwarzen peitschenden Linien schien es mehr das Gesicht des Zorns darzustellen als das eines Menschen.
Ohne Aussage von Lamar stand der Fall auf schwachen Beinen. Am Ende, nach der Urteilsfindung, war Katherine sicher, dass die Zeichnungen den Ausschlag gegeben hatten. Sie hatte die Miene des Richters beobachtet, als er auf seiner Bank saß und sie Stück für Stück betrachtete. Und sie hatte gesehen, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht gewichen war.
Katherine hatte diese Zeichnungen seit fast einem Jahrzehnt nicht gesehen. Sie hatte seitdem mit Tausenden von Fällen zu tun gehabt. In ihrem Gedächtnis fand sich keine klare Erinnerung mehr, wie sie aussahen. Aber sie erinnerte sich ganz genau an das Gefühl, das sie hervorgerufen hatten. Sie hatte nie auch nur annähernd die richtigen Worte gefunden, um es zu beschreiben. Der Effekt umging den für Sprache zuständigen Bereich des Gehirns und traf direkt ins Zentrum ihrer Angst.
Sie war jetzt sicher, dass sie von derselben Person gezeichnet worden waren, die ihr auch den Zettel mit der Zeichnung unter der Haustür durchgeschoben hatte. Sie ermahnte sich, zu bedenken, dass sie die Bilder eine lange, lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Wie konnte sie da so sicher sein? Sie wusste nicht wie, aber sie war sich absolut sicher.
Sie rief Mendrinos an.
»Und das ist Ihnen jetzt eingefallen? Vorher ist Ihnen das nicht in den Sinn gekommen?« Er
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