Die Farbe Der Leere
sagte, er würde Russo anrufen und die Information weitergeben. Sie berichtete ihm, dass Steve bereits nach den Hicks-Akten suchte und sie hofften, dass die Zeichnungen darin mit abgelegt waren.
Steve musste feststellen, dass Lamars Akte geschlossen und ins Archiv überstellt worden war. Das Archivierungssystem war ein ständiger Quell von Ärgernissen, und viele angeforderte Fälle hatten sich nie wieder angefunden. Sie konnten jetzt nur noch die Daumen drücken.
17
Russo war ganz auf den Bericht vor seiner Nase konzentriert. Erst nachdem sie sich mehrmals künstlich geräuspert hatte, guckte er hoch zu Malone, die vor seinem Schreibtisch stand. Er sah sie kurz an, dann senkte er den Blick wieder und grunzte: »Ja?«
»Es gibt da eine Vermisstenmeldung …«
Jede neue Vermisstenmeldung, die Jungen oder junge Männer in der Bronx betraf, wurde unverzüglich an die Sonderkommission weitergeleitet. Zudem überprüften sie auch noch ältere Meldungen. Bisher war für Malone dabei nichts als Zeitverschwendung herausgekommen. Nachdem sie einen Berg solcher Meldungen durchgeackert hatte, war sie versucht, sich zu fragen, ob überhaupt jemals Kids nach einer Saufnacht wieder nach Hause kamen, ob Ehemänner je vom Zigarettenholen zurückkehrten. Sie arbeitete trotzdem daran weiter, denn wenn sie nicht endlich einen Durchbruch erzielten, würde bald eine dieser Meldungen das nächste Opfer beschreiben.
Russo seufzte und sah auf. Wenn Malone fand, es war wichtig genug, um ihm davon zu berichten, dann musste er wohl zuhören.
»Zwölfjähriger Junge, schmächtig gebaut.«
»Schwarz, Latino?«, schnappte er.
»Weiß.«
Russo runzelte die Stirn.
»Aber die Adresse ist nur einen Block von Katherine McDonald entfernt.«
Russo stieß sich seine Lesebrille auf den Kopf.
»Vermisst seit gestern Nachmittag. Kam von der Schule nach Hause. Zog dann wieder los, um für eine Spendenaktion seiner Schule in der Nachbarschaft Bonbons zu verkaufen. Kam nicht zurück.«
»Name?«
»Lenny Rutland. Bei ACS nicht bekannt, nie in Fürsorge gewesen. Erst vor ein paar Monaten aus San Francisco hergezogen. Der Vater ist so ein hochrangiger Managertyp, dessen Chef mit dem Bürgermeister kungelt. Die Mutter sitzt in jedem Gremium der gehobenen Gesellschaft. Ich fürchte, wir bekommen sehr bald direkte Befehle von Downtown.«
»Scheiße. Das bedeutet, wir müssen dem Mist nachgehen, auch wenn es sich als reine Zeitverschwendung erweist.«
Malone zuckte die Achseln. »Es gibt da noch was. Die Online-Sonderkommission KiddieNet hat mit einem Jugendlichen zu tun bekommen, der in McDonalds Apartmentkomplex wohnt.«
»Einem Jugendlichen? Keinem Verdächtigen?«
Russo stand abrupt auf und wanderte davon, seinen Kaffeepott in der Hand. Auf dem verschwommenen, schlecht aufgelösten Foto von Frau und Kindern, das den Becher zierte, war sein ältester Sohn noch klein genug, um ohne Schneidezähne zu lächeln, darüber prangten in rotem Druck die Worte ›Fröhlicher Vatertag‹. Malone wartete.
Russo kam mit gefülltem Pott zurück, in der anderen Hand einen Styroporbecher für Malone.
»Danke.«
Er grunzte: »Fotos des Vermissten?«
Der Junge auf dem Foto, das sie ihm reichte, hatte eine Unmenge blonder Locken und ein süßes Grinsen. Das Kind hatte also ein hohes Tier zum Vater und war fotogen. Wenn es nicht bald auftauchte, würde sich die Times mit Sicherheit darauf stürzen.
»Erzähl mir zuerst von dem KiddieNet-Fall in McDonalds Wohnblock.« Der höllisch fotogene Knabe lebte also in derselben Gegend wie Mendrinos' Freundin. Und die hatte ihm gerade diesen Scheiß von den Zeichnungen erzählt, die sie vor Jahren gesehen hatte und die ihr angeblich eben erst wieder eingefallen waren.
Vielleicht war sie das Problem. Werd sie los und alles wird gut. Naa, so einfach waren die Dinge nie.
»Brian Campbell. Fünfzehn. Schwierig. Schule geschwänzt, abgehauen. Eltern haben ihn zum Seelenklempner geschickt. Der Junge hat der Therapeutin erzählt, er trifft sich mit einem älteren Mann, sie haben Sex. Ist im Internet auf ihn gestoßen. Die Therapeutin hat die Polizei informiert.«
Juristisch gesehen hatte die Psychotante keine andere Wahl gehabt. Aber Russo war doch erstaunt. Er hätte angenommen, dass die meisten von diesen Psychoheinis genau wussten, auf welcher Seite das Brot gebuttert war, und erst mal diskret mit den Eltern sprachen, bevor sie Dritte einbezogen. Und die Eltern würden mit Sicherheit nicht wollen, dass der Staat in
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