Die Farbe der Liebe
Pochen, mit dem ihre Tattoos immer erschienen.
Kaum hatte man Aurelia die Fesseln abgenommen, brach sie zusammen. Keine Sekunde später stand Andrei neben ihr. Obwohl Aurelia wie angewiesen die Augen geschlossen hielt, erkannte sie ihn, wie sie ihn stets erkannte. Seine Berührung, sein Geruch, die besondere Art, wie er sie in seinen starken Armen wiegte, nahmen alle Pein und Verwirrung von ihr.
Im Grunde brauchte Aurelia keinen Spiegel, um zu wissen, was geschehen war. Als sie sich dann darin betrachtete, stellte sie ohne größere Überraschung fest, dass jetzt auch um ihren Hals die feinen Linien eines Tattoos liefen.
Sie stellten eine dicke Eisenkette dar, durchzogen von einem Band aus winzigen rot-weißen Blüten wie die von ihrem Bonsai. Was es bedeuten sollte, lag auf der Hand – jetzt kannte sie die Macht des Schmerzes, aber auch den exakten Schnittpunkt, an dem Schmerz in Lust überging.
Sie schlief wie eine Tote, und als sie am nächsten Vormittag aufwachte, saß Madame Denoux am Fußende ihres Bettes. Mit Schreibblock und Stift in der Hand wartete sie darauf, Aurelias Gedanken zu notieren, als handle es sich bei dem Ganzen um eine wissenschaftliche Studie.
An diesem Morgen war niemand gekommen, um sie zu baden, merkte Aurelia überrascht. Außer man hätte sie eingeseift, als sie im Tiefschlaf lag. Sie schnüffelte an ihrem Unterarm, er roch noch ganz leicht nach dem parfümierten Öl vom Vortag. Mit der täglichen Fürsorge war es offenbar vorbei.
»Ist es zu Ende?«, fragte Aurelia. »Bin ich jetzt ausgebildet?«
»Nein«, antwortete Madame Denoux. »Du fängst gerade erst an.«
Aurelia nickte. Ihr ganzes Leben rankte sich nun schon so lange nur noch um den Ball, dass es nicht mehr darauf ankam, was als Nächstes für sie geplant war und wie lange es dauerte. Sie wurde Maîtresse und würde sich allem fügen.
Ihre Hand wanderte zum Hals und strich über die Eisenkette mit dem Blumenband.
»Heißt das, ich gehöre jetzt Walter?«, fragte sie. Seit sie zum Ball gekommen war, hatte sie immer wieder Halsbänder mit den verschiedensten Inschriften und Mustern an Männern und Frauen gesehen, auch die Marionetten auf der Kunstausstellung hatten welche getragen. Natürlich hatte sie damals nicht gewusst, was sie bedeuteten – dass sich ein Sub damit bereitwillig in die Hände eines anderen Menschen begab und dass es die schwere Verantwortung symbolisierte, die ihr dominanter Besitzer übernahm.
»Nein«, sagte Madame Denoux. »Du gehörst weder Walter noch sonst jemandem, nur dem Ball. Das Erscheinen des Halsbands bedeutet, dass du deine Pflichten und deine Stellung in deinem zukünftigen Leben akzeptiert hast. Ab jetzt gehörst du dem Ball, Aurelia.«
»Kann man es entfernen? Wie ein normales Halsband?«
»Du weißt doch, dass es kein normales Halsband, sondern in deine Haut geschrieben ist.« Ein ratloses Lächeln lag auf ihren Lippen, als hätte Aurelia eine überraschend dumme Frage gestellt. »Es wird dir nie möglich sein, den Ball aus deinem Leben zu streichen, Aurelia. Aber all diese Dinge können nur mit deinem Einverständnis geschehen. Gegen inneren Widerstand kann dieses Halsband nicht getragen werden. Du hast es selbst heraufbeschworen, es wurde dir nicht aufgezwungen. Wenn du dich also entschließen solltest, auf deine Position zu verzichten, kannst du das tun. Und ja, dann verschwindet es. Denn die Eisenkette ist ein Symbol deiner freiwilligen Unterwerfung, du wurdest in keine Falle gelockt.«
Wieder nickte Aurelia.
»Was kommt als Nächstes?« Jetzt noch im Bett zu liegen, kam ihr merkwürdig vor. Sie hatte sich an körperliche Arbeit gewöhnt und daran, Instruktionen zu befolgen. Müßiggang machte sie unruhig.
»Jetzt musst du lernen, andere zu führen.«
Natürlich, überlegte Aurelia. Sie hatte sich das Halsband einer Sub erworben, nun musste sie in die dominante Rolle wechseln.
Madame Denoux griff in eine Tasche ihres langen Kleids und zog eine kleine Messingglocke in Form eines chinesischen Drachenkopfs heraus. Der Klöppel war der Zunge des Tiers nachgebildet. Das Glöckchen hatte den zauberhaftesten Klang, den Aurelia je vernommen hatte, als fielen gläserne Tropfen ins Wasser.
Kaum war sie erklungen, erschien ein junger Mann. Er fiel in der Mitte des Zimmers mit gesenktem Kopf auf die Knie. Madame Denoux bedeutete Aurelia aufzustehen und zu ihm zu gehen. Neugierig folgte sie der Anweisung.
Sein gebräunter Oberkörper war nackt, sodass man seine Schulter- und
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