Die Farbe der Liebe
der nächsten Nacht kam er und fickte sie mit all dem drängenden Verlangen, das ein Mann nur empfinden konnte.
Sein Atem war heiß, als ihre Lippen sich berührten. Aurelia hatte ihn auf Anhieb erkannt. Kaum war er in ihrer Nähe, hatte das Herztattoo auf ihrer Brust zu glühen begonnen, als ob ihr Körper seine typischen Bewegungen, den Klang seiner Schritte und den Rhythmus seines Atems noch vor der ersten Berührung erkannte.
»Da bist du ja«, sagte sie.
»Ja«, flüsterte er. »Da bin ich.« In seiner heiseren Stimme lagen sowohl Kummer als auch Verlangen, doch beide Gefühle blieben unausgesprochen. Er drückte sie allerdings aus, indem er Aurelia hochhob und zu einer Glaswand trug, wo er sie fickte, sodass das ganze Netzwerk sehen konnte: Schaut her, Andrei nimmt Aurelia!
Er hielt sie so fest umschlungen, dass sie sich wie gefangen fühlte, eine Gefangenschaft, die, wenn es nach ihr gegangen wäre, ewig dauern sollte. Als sein Schwanz in sie eindrang, erglühte jedes Zeichen auf ihrem Körper in so leuchtenden Farben, dass sie schon glaubte, allein durch ihr starkes Verlangen in Flammen aufzugehen. Dann würde das Feuer ihrer Lust sie beide verzehren und nichts mehr von ihnen übrig lassen als ein Häufchen Asche.
Als sie am nächsten Tag noch vor Morgengrauen aufwachte, war er bereits fort. In diesem Augenblick verstand Aurelia, warum ihre Mutter durchgebrannt war.
Ein Mensch allein konnte das nicht ertragen. Ihr schlanker Körper war so voller Begehren, dass es für eine ganze Armee gereicht hätte. Irgendwann würde es sie zerstören.
Sie konnte damit nicht umgehen. Aber das musste und das würde sie.
Und während all dem hütete sie ihre Vorstellung von Andrei. Dass es ihn gab, wurde zu ihrem persönlichen Kleinod, das am Ende des Regenbogens, nach Abschluss ihrer Reise, ihrer Ausbildung, auf sie wartete.
Die Sonne hob sich gerade eben erst über den Horizont und warf ihre ersten Strahlen in den Garten. Ihre morgendlichen Helfer würden frühestens in einer Stunde erscheinen. Aber weil Aurelia wusste, dass sie keine Sekunde länger Schlaf finden würde, schlug sie die Decke zurück und kramte in ihren Waschsachen, bis sie eine zweite Zahnbürste fand. Dann kniete sie sich hin und fing an, den hellen Steinboden in der Pagode zu schrubben.
Außer dem leisen Kratzen der Borsten und den Wassertropfen, die hin und wieder von der Zahnbürste fielen, hörte man kein Geräusch. Irgendwann fingen ihre Knie an wehzutun. Aber sie genoss die regelmäßige Bewegung ihrer Arme, die die Bürste in ihrer Hand vor und zurück über den Boden schoben. Nach kurzer Zeit spürte sie durch die Art, wie sich ihre Muskeln streckten und zusammenzogen, durch die Feuchtigkeit des Wassers auf ihrer Haut und durch den leichten Druck ihres ärmellosen Baumwolltops auf ihren Brüsten alle ihre körperlichen Empfindungen kristallklar.
Irgendwie kam es ihr so vor, als gäbe es Aurelia nicht mehr. Als hätte sie seit ihrem Einzug beim Netzwerk ihre Haut abgestreift, die sie als Person ausmachte, als wäre sie jetzt nur noch eine Masse aus Fleisch und Knochen, manchmal zwar mit Gedanken und Gefühlen, die aber nicht ihr gehörten. Die Vorstellung war befreiend, und Leichtigkeit durchflutete sie, als sie sich so ganz in ihrer Arbeit verlor.
Zum ersten Mal in ihrem Leben genoss sie es, einfach im Hier und Jetzt zu sein, ohne sich darum zu sorgen, was sie morgen tun würde. Als ihr das klar wurde, zeigte sich das nächste Tattoo. Diesmal setzte sich ein rot-schwarzer Marienkäfer auf eine ihrer Fingerkuppen.
Ihr leichtes Abendessen an diesem Tag bestand aus einer warmen Flüssigkeit, die entfernt nach Tomate schmeckte und Aurelia an Grillnachmittage am Meer erinnerte. Kaum war sie mit dem Essen fertig, betrat Madame Denoux den Raum und sagte ihr, dass sie nun soweit sei.
Aurelia fragte nicht nach, wofür. Das war für sie unwichtig geworden.
Am nächsten Tag wurde sie gründlicher gebadet als sonst. Nach dem Abtrocknen rieb man sie mit parfümiertem Öl ein, sodass ihr bei jeder Bewegung eine Duftwolke in die Nase stieg. Sie roch süß und sommerlich, nach einer Mischung aus frisch gepressten Zitronen und den Blütenblättern einer pinkfarbenen Rose. Dann wurde ihr das Haar gebürstet, aber nicht frisiert. Sie bekam auch keine Kleider. Und sie hörte weder, dass der Verschluss eines Schmuckstücks zuschnappte, noch spürte sie eine Rasur, dort wo ihr Schamhaar spross, mit dem sich niemand mehr befasst hatte, seit sie hier
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