Die Farbe der Liebe
Markierung, wenngleich nicht an der gleichen Stelle.«
»Ich habe nur das eine auf der Innenseite meines Handgelenks. Und das ist kein echtes, sondern eine ganz normale Tätowierung, ein Zeichen, dass ich offizieller Diener des Balls bin. Der Ball hat viele Rituale. Zu viele, wenn du mich fragst …«
»Und meines?«
»Deines ist echt. Der Ball fließt in deinem Blut, und die Markierung zeigt sich von ganz allein, wenn …«
Aurelia erinnerte sich daran, dass Tristan sie im Wald auf der Insel im Puget Sound geleckt hatte und wie unmöglich es ihr gewesen war, sich gegen die Flut der Lust zu stemmen, gegen die Erkenntnis, dass sie sich mit Freuden hingab und willige Sklavin ihrer Sinne war.
Das Gespräch stockte. Alle möglichen Gedanken gingen Aurelia im Kopf herum.
Schließlich brach sie die Stille. »Du hast gesagt, du bist am selben Tag wie ich zur Welt gekommen?«
»Das habe ich festgestellt, nachdem wir dich gefunden hatten. Ein Wink des Schicksals, nicht wahr?«
»Und du hast dein ganzes Leben im Umfeld des Balls verbracht, bist da hineingeboren worden?«
»Sozusagen. Ich habe seit jeher den Verdacht, dass Walter mein Erzeuger ist. Meine Mutter habe ich nie kennengelernt, so wie du.«
»Tatsächlich?«
»Du weißt ja, sobald du Maîtresse wirst, verliert der Statthalter seine Funktion.« Tristan schien keine Lust zu haben, über seine Vergangenheit zu sprechen.
»Habe das nicht ich zu entscheiden?«, fragte Aurelia.
»Eigentlich nicht«, antwortete Tristan. »Allerdings kann die Maîtresse sich einen Gefährten wählen …«
Aurelia dachte nach. Der Gedanke, Andrei zu verlieren, nachdem sie ihn endlich gefunden hatte, versetzte ihrem Herzen nur einen leichten Stich. Es kränkte sie doch sehr, dass er so viele andere »geprüft« hatte, obgleich er natürlich seinerseits Zeuge gewesen war, als sie im Verlauf ihrer Ausbildung mit vielen anderen geschlafen hatte. Das war aber von vornherein klar gewesen. Gerade Andrei hatte gewusst, dass es zu ihrer Rolle gehören würde. Warum aber hatte er ihr seinen Aufgabenbereich verschwiegen? War er in dieser Hinsicht vielleicht immer noch aktiv?
»Wo ist er jetzt?«
»Verreist.«
»Zu welchem Zweck?«
»Das weiß nur er selbst.«
Tristan richtete sich auf, als hätte er einen Entschluss gefasst, und blickte Aurelia in die Augen.
»Wähle mich«, sagte er.
»Wählen?«
»Statt ihn.«
»Wieso?«
»Ich bin jünger. Wir haben mehr gemeinsam. Ich finde dich schön, ungeheuer schön. Wir beide könnten den Ball zusammen leiten, ihn für künftige Generationen in neuem Glanz erstrahlen lassen, seine Tradition sichern. Wir sind am selben Tag geboren, ein Wink des Schicksals. Das leuchtet doch ein, so ist es gedacht.«
»Und wenn ich nicht will?«
»Dann fordere ich ihn heraus.«
»Wie?«
Tristan erklärte es ihr, und Aurelia hörte mit angehaltenem Atem zu. Danach schwieg sie. Ja, das ergab einen Sinn, so verrückt es klang. Der seltsamen Logik der Magie des Balls folgend, wäre es eine Möglichkeit, mit Sicherheit herauszufinden, ob sie wirklich zu Andrei gehörte und ihre Zukunft bei ihm lag oder ob ihre Leidenschaft für ihn nur eine vorübergehende Schwärmerei war. Durch ihre Ausbildung war sie eine andere geworden. Und Andrei hatte sie in letzter Zeit kaum gesehen. Hatte man ihn daran gehindert, sie zu besuchen? Oder war das seine Entscheidung gewesen? Sie hatte keine Möglichkeit, es herauszufinden, aber der Zweifel allein hinterließ einen bitteren Nachgeschmack und streute Salz in ihre Wunden, ob sie es wollte oder nicht.
Was sie dann sagte, bedauerte sie, noch ehe sie es ganz ausgesprochen hatte, aber da war es schon zu spät. »Erzähle mir von den anderen Frauen, mit denen Andrei …«
»Da kann ich dir mehr bieten«, meinte Tristan. »Ich kann sie dir zeigen.«
Aurelia glaubte, eine Spur von Frohlocken in seiner Stimme zu hören, aber sie ignorierte es. Wie unsauber seine Absichten auch sein mochten, er hatte ihre Neugier geweckt, die konnte sie nun nicht mehr so einfach abstellen. Also folgte sie ihm durch den Garten ins Haupthaus und dort zu einem Aufzug, für den er eine elektronische Schlüsselkarte besaß. Aurelia lief Gänsehaut über den Rücken, als Tristan den Knopf zum Kellergeschoss und nicht zu einem der oberen Stockwerke drückte, in denen die Verwaltung untergebracht war. Zu diesem Bereich war ihr bisher der Zutritt verwehrt gewesen. Nachdem sie so viele Monate fast nur in dem eingegrenzten Areal des Gartens mit dem Glashaus
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