Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
Vom Netzwerk:
nackt gesehen hatte, nicht nur auf der Insel beim Ball, sondern höchstwahrscheinlich auch viele Male bei ihrer Ausbildung, wenn er nicht sogar selbst zu den aktiven Teilnehmern gehört hatte. Freilich hätte sie ihn im Unterschied zu Andrei dabei nicht wiedererkannt.
    »Ja?«, murmelte sie.
    »Eigentlich sollte Andrei hier sein, der Statthalter des Balls, und nicht ich«, erklärte Tristan. »Aber er hat die ganze Woche über außerhalb der Stadt zu tun. So fällt die Aufgabe, dich weiter auszubilden, mir zu.«
    »Was ist denn mit Madame Denoux und …?« Es nervte sie, dass die Frau im grauen Kostüm nie ihren Namen genannt hatte.
    »Miss Morris.«
    »So heißt sie?«
    Tristan nickte. »Dieser Teil deiner Ausbildung ist nun abgeschlossen. Die beiden sind aber weiterhin vor Ort und stehen dir jederzeit zur Verfügung, wenn du ihren Rat oder ihre Hilfe wünschst. Doch du musst noch viel lernen, bis du Maîtresse des Balls wirst, und in Abwesenheit des Statthalters bin ich dazu bestimmt worden, dir dabei zu helfen.«
    Warum war nicht Andrei hier?, fragte sich Aurelia. Was konnte er denn Wichtigeres zu tun haben?
    Als sie auszubilden.
    Sie in den Armen zu halten.
    Zu lieben.
    Wie sich bald herausstellte, konnte Tristan ihr längst nicht alle Fragen beantworten.
    Eine, die ihr besonders unter den Nägeln brannte, betraf ihre Eltern. Aus den ausweichenden Antworten erst von Andrei und später von Madame Denoux hatte sie sich zusammengereimt, dass ihre Mutter die Tochter einer früheren Maîtresse und damit von Geburt an für diese Rolle bestimmt gewesen war. Sie war auf Kosten des Netzwerks in einem Internat in Europa erzogen worden, doch als ihre Mutter, also Aurelias Großmutter, dann krank wurde und starb, war sie zum Ball zurückgekehrt. Schon kurz darauf hatte sie sich in einen Mann verliebt, der als Konstrukteur, Ingenieur und Designer für den kommenden Ball angeheuert worden war. Er sollte bei den Niagarafällen stattfinden und unter dem Thema »Wasser« stehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Aurelias Mutter ihre Ausbildung noch gar nicht begonnen. Als der Tag dafür näher rückte, rebellierte sie gegen die Tradition und brannte mit dem Ingenieur durch.
    Was aber konnte ihr Tristan über ihren Vater erzählen? Sehr wenig. Er wusste nur den Namen. Niemand konnte sich richtig an ihn erinnern.
    Angesichts des Themas, unter dem der Ball seinerzeit stehen sollte, schien es eine bittere Ironie des Schicksals, dass das Paar kurz nach Aurelias Geburt den Tod ausgerechnet durch Ertrinken gefunden hatte. Man hätte meinen können, die Götter, die über die Geschicke des Balls wachten, hätten raffiniert und grausam Rache an ihren Eltern geübt, weil sie sich von ihnen losgesagt hatten.
    Im Lauf der Geschichte – die Ursprünge des Balls verloren sich im Dunkel der Zeit, wenn auch viele Traditionen überdauert hatten – war es auch früher gelegentlich vorgekommen, dass es keine Maîtresse gegeben hatte. Diese Funktion ging normalerweise von der Mutter auf die Tochter über. War dies nicht möglich, hatte der Rat des Balls stets einen Statthalter ernannt. In jüngerer Zeit hatte sich das Netzwerk darum gekümmert, dem immer mehr die Aufgabe zugefallen war, für die Organisation und die finanziellen Belange des Balls zu sorgen. Die Mittel dazu stammten aus dem Markt der Erotik, der immer Konjunktur hat, wo das Netzwerk als Anbieter ausgesuchter und exklusiver, kostspieliger Vergnügungen, Spielgefährten und ausgefallener Unterhaltungskunst auftrat.
    »Worin genau besteht denn die Rolle des Statthalters?«, fragte Aurelia, der die Aufgabe von Andrei immer noch nicht klar war.
    »Er hat die Oberaufsicht über den Ball und …«
    Tristan hielt inne.
    »Und was?«, drängte ihn Aurelia.
    »Er bestimmt die nächste Maîtresse.«
    »Wie macht er das denn?«
    »Er sucht nach einer Frau, die wahre Lust im Leib hat.«
    Aurelia zuckte innerlich zusammen.
    »Du meinst …«
    »Ja«, antwortete Tristan. Ein grausamer Zug spielte um seine vollen Lippen.
    Aurelia schwieg.
    »Aber dich brauchte er dazu nicht zu testen«, fuhr Tristan fort. »Als wir dich fanden, wussten wir ja schon, dass du zur Maîtresse geboren bist.«
    »Wie stellt man das denn fest? Ob eine Frau als Maîtresse infrage kommt, meine ich. Wenn die Erbfolge irgendwie unterbrochen wurde«, fragte sie weiter.
    »Das Flammenherz auf deinem Venushügel«, erklärte Tristan.
    »Aber du hast auch eines, so wie viele andere«, erwiderte Aurelia. »Das ist doch auch eine

Weitere Kostenlose Bücher