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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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abschließen zu können.
    »Ihr seid jetzt alt genug«, sagte ihnen Sivs Vater mit bedauerndem Unterton am nächsten Morgen. Das hinderte ihn jedoch nicht, später immer wieder leise über die Unreife von Teenagern zu murren.
    Nach diesem Ausflug hatten Aurelia und Siv die unausgesprochene Erlaubnis, abends so lange auszubleiben, wie sie wollten; sie durften sogar woanders übernachten, doch beiden Mädchen war nicht danach, davon Gebrauch zu machen.
    Tatsächlich hatte der Jahrmarkt sie verändert, nicht sehr, aber doch spürbar. Siv wurde zielgerichteter, fast schon lernbegierig, wenn auch nicht unbedingt in der Schule, sondern eher im Sport. Sie verwendete nun all ihre freie Zeit und Energie darauf, neue »Tricks« einzuüben. Sie traf sich weiterhin mit dem Jungen vom Rummel, der ihr in altmodischer Weise den Hof machte. Und wann immer er sich freimachen konnte, besuchte er sie an der Küste. Sein richtiger Name lautete Harry, wie die Mädchen nun wussten; dennoch nannten sie ihn weiterhin Ginger, und er rief Siv meistens »Kleine«. Aurelia war einfach bloß Aurelia. Sie war schon immer ein Mädchen gewesen, zu dem keine Spitznamen passten.
    Ginger verstand etwas von Gerüsten und Seilen, und so hatte Siv ihn überredet, ihr in der Garage ihrer Eltern ein Übungstrapez aufzubauen. Bald schwang sie sich wie ein Äffchen von Stange zu Stange und von Seil zu Seil. Natürlich kam es hin und wieder zu kleineren Unfällen, die Ginger gekonnt verarztete. »Wenn das so weitergeht«, grummelte er, als er sie wieder mal mit Prellungen ins Haus zurückschickte, »glaubt dein Vater noch, ich würde dich verprügeln.« Mit der Zeit wurde sie immer kräftiger, und ihre einst schmalen Schultern waren jetzt zwar nicht gerade breit, aber ausgesprochen muskulös.
    Das Training bekam Siv auch sonst gut und half ihr, den Zorn zu zügeln, der sich in ihr oft Bahn brach. Es kam nun seltener vor, dass sie den jugendlichen Skateboardern hinterherschimpfte, die sie auf dem Pier nicht selten fast über den Haufen fuhren.
    Auch Aurelia war seit jenem Abend auf dem Jahrmarkt von Hampstead Heath sehr beschäftigt. Allerdings schlugen ihre Gedanken ganz andere Wege ein – unvermeidlich kehrten sie immer wieder zu dem Fremdem und seinem Kuss zurück.
    Anfangs hatte sie nur immer wieder das Gefühl heraufbeschworen, wie seine Lippen ihre berührten. Als ihr das dann zu langweilig wurde, fing sie an, sich vorzustellen, sein Mund würde andere Stellen ihres Körpers küssen. Am Ende wusste sie nicht mehr, was an ihren Tagträumen auf Erinnerung beruhte und was sie sich ausgedacht hatte. Manchmal meinte sie, das Ganze nur geträumt zu haben, und dann wieder erschien es ihr, als wäre es viel mehr gewesen als nur ein Kuss, und sie hätte den Rest vergessen. Ihre Erinnerung an das Erlebte war teils kristallklar, teils aber völlig wirr. Wenn sie darüber nachdachte, war ihr oft, als würde sie versuchen, Ordnung in ein Schneegestöber zu bringen.
    Wenn Aurelia allein war, waren ihre Gedanken immer auch mit Lust verbunden. Wie alles im Leben ging sie auch die Selbstbefriedigung mit der ihr eigenen langsamen, konzentrierten Gelassenheit an. Oft ließ sie sich ein Bad ein, stellte über hundert Teelichter auf den Wannenrand, lag dann im Wasser und berührte sich, bis es ihr Stunden später zu kalt wurde. Einen Orgasmus erlebte sie dabei nur selten. Sie zog es vor, das Gefühl sexueller Sehnsucht zu genießen, das sie danach über Tage begleitete.
    Natürlich redete sie mit Siv über den Kuss. Anfangs fand Siv die Geschichte auch spannend, denn nie zuvor war ihre Freundin von einem Mann so fasziniert gewesen. Aber mit der Zeit ging es ihr auf den Geist, dass Aurelia immer nur von diesem Fremden sprach, und gab es auf, sie nach ihren Erinnerungen an sein Aussehen oder an seine Kleidung zu fragen.
    Denn das Einzige, an das Aurelia sich mit Gewissheit erinnerte, war sein Geruch.
    »Er hat nach Granatapfel geduftet«, sagte sie zu Siv.
    »Nach Granatapfel?« Siv verzog spöttisch den Mund. »Männer riechen nicht nach Granatapfel.«
    Bald gönnte sich Aurelia die tiefroten Früchte regelmäßig zum Frühstück. Sie war stets von Neuem überrascht von ihrem bitteren Nachgeschmack, genoss es aber, dass der anfänglichen Süße ein rauchiges, holziges Aroma folgte. Und sie liebte es, mit der Zunge über die Kerne zu fahren und dabei an den Fremden zu denken.
    Doch irgendwann war der Jahrmarkt nur noch eine Erinnerung unter vielen, und die Mädchen kehrten zu

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