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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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Siv am Abend vorher am Telefon. Von ihrem offenen Fenster im oberen Stockwerk verfolgte sie, wie hinter den kopfsteingepflasterten Gassen und den Holzhäusern die letzten Strahlen der Sonne am Horizont erloschen. Zu ihrer Linken erstreckte sich das Meer als dunkles Band. Die Nachtluft war würzig und frisch.
    »Irgendwas Elegantes. Und Schlichtes«, schlug ihre Freundin vor.
    »Meine beste Jeans und den Blazer?«, fragte sie Siv.
    »Nein. Du kannst da unmöglich in Jeans aufkreuzen. Eher in einem Kleid. Das wirkt seriöser.«
    Schließlich entschied sie sich für den malvenfarbenen Bleistiftrock, den sie zur Blitzhochzeit einer schwangeren Schulfreundin getragen hatte, und dazu eine furchtbar brav wirkende, weiße Seidenbluse. Und der Bequemlichkeit wegen wählte sie flache Schuhe. Weil in der Schule Studientag war, hatte sie gute Chancen, dass man ihr Fehlen gar nicht bemerkte, und zur Not konnte Siv sie entschuldigen. Bestimmt würde es ihr komisch vorkommen, den ganzen Tag in solchen Klamotten herumzulaufen.
    Der Pendlerzug nach London war überfüllt, und sie musste während der gesamten Fahrt stehen. Beim Gedanken an ihren Termin beim Rechtsanwalt wurde ihr mulmig. Endlich hielt der Zug und spuckte seine menschliche Fracht auf den Bahnsteig. Aurelia hatte das Gefühl, als würde sie von der Menge mitgerissen, als wäre sie nur ein unbedeutender Tropfen in einem Meer von Menschen. Alle schienen zu wichtigen Jobs und dringenden Terminen zu eilen. Da sie noch eine ganze Stunde Zeit hatte, beschloss sie, nicht die U-Bahn zu nehmen, sondern von der Station Liverpool Street zu Fuß nach Holborn zu gehen. Aber erst einmal besorgte sie sich einen Kaffee bei den beiden italienischen Straßenhändlern in der Brushfield Street. Ihr fröhliches Geplapper und der leuchtend orangefarbene Schirm brachten ein bisschen Farbe in den ansonsten tristen Morgen.
    Außerhalb des eigentlichen Geschäftsviertels waren weniger Menschen unterwegs, zumal inzwischen auch die Rushhour zu Ende ging. Aurelia konnte nun mehr von ihrer Umgebung wahrnehmen. Glatt und nüchtern ragten die steinernen Fassaden der altehrwürdigen Gebäude vor ihr auf, und bunt leuchteten die Blumen, die in Töpfen an den Vordächern der Pubs hingen.
    An einer Ampel am Holborn Circus musste sie warten. Sie hielt ihren dunkelgrünen Kapuzenmantel vor der Brust gerafft und schaute in den Verkehr. Gerade schoben sich drei rote Doppeldeckerbusse Stoßstange an Stoßstange vorbei. Plötzlich meinte sie, in einem spiegelnden Busfenster zu sehen, dass sich hinter ihr etwas bewegte. Hastig drehte sie sich um. Ihr war, als huschte ein Schatten um ein großes Bürogebäude herum in eine Seitenstraße, so als versuchte jemand, sich eilig ihrem Blick zu entziehen. Ihr Herz klopfte heftig, und schnellen Schrittes setzte sie ihren Weg in Richtung Themse fort. Hin und wieder aber sah sie verstohlen über die Schulter nach hinten, ob sich dort etwas Auffälliges zeigte, aber sie konnte nichts entdecken.
    Als sie das weitläufige Gelände der Inns of Court betrat, wo auch die Kanzlei lag, hatte sie das Gefühl, inmitten des hektischen Großstadtgetriebes eine friedliche Oase zu betreten. Eine milde Brise, die vom nahen Fluss herüberwehte, wiegte sanft die Zweige der Bäume. Bald hatte sie das gesuchte Gebäude ausgemacht. Die Frau am Empfang hätte die Zwillingsschwester ihrer Schuldirektorin sein können. Sie trug Aurelias Namen in eine Liste ein und führte sie in ein Wartezimmer.
    »Mister Irving ist gleich für Sie da«, sagte die Empfangsdame. »Es wird nicht lange dauern.« Aurelia zupfte nervös an ihrem engen Rock und ließ die Blicke schweifen. Der großzügige, helle Raum erinnerte sie an das Wartezimmer eines Arztes, bloß ohne die zerfledderten, alten Zeitschriften. Auf einem schmalen gläsernen Bord stand ein sorgfältig getrimmter Bonsai.
    Nicht viel später trat mit federnden Schritten ein Mann im Nadelstreifenanzug, mit dunkelblauem Hemd zur silbernen Krawatte, roten Hosenträgern und schwarzen, auf Hochglanz polierten Schuhen ein und reichte ihr die Hand. Er war mittelgroß und trug eine Brille. Einen starken Kontrast zu seiner sonstigen Erscheinung bildete sein graues Haar, das er schulterlang und nach hinten gekämmt trug, wie man es von jemandem in seinem Beruf und seinem Alter nicht erwartete.
    »Gwillam Irving«, stellte er sich mit einem kräftigen Händedruck vor. Seine Haut war überraschen kühl.
    »Aurelia. Aurelia Carter.« Sie hatte bereits vor einigen

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