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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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noch ehe Aurelia auch nur ein Wort sagen oder die Hand des Fremden ergreifen konnte, so rasch entschwand er. Sein Geschmack in ihrem Mund wurde allerdings gleich vom süßen, leicht rauchigen Aroma der heißen Schokolade überlagert, die Siv ihr reichte – in einer zarten weißen Porzellantasse, aus der auch Alice im Wunderland getrunken haben mochte.
    »Chili, würde ich sagen«, vermutete Ginger nach dem ersten Schluck.
    »Nein, Paprika«, erwiderte Siv. »Ich bin zu einem Viertel Ungarin, ich kenne mich aus …«, fügte sie mit Bestimmtheit hinzu.
    »Liebe«, sagte Aurelia verträumt. »Sie schmeckt nach Liebe.« Sie fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Lippen.
    »Bist du übergeschnappt?«, fragte Siv verdattert. »Ich glaube, wir fahren besser nach Hause.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Herrje! Fast Mitternacht!«
    Da die Mädchen in aller Eile aufbrachen, blieb ihnen keine Zeit, über die kleinen Veränderungen zu reden, die beide bemerkten, als sie durch den großen Torbogen am Ausgang liefen. Außerhalb des Jahrmarkts war es ein wenig kühler, das Licht war etwas trüber, und ein leicht säuerlicher Geruch hing in der Luft, insbesondere im Vergleich zum berauschenden Duft nach Kakao und Gewürzen, der das Bar-Zelt der Mitarbeiter erfüllt hatte.
    Siv kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu orientieren. Sie hielt nach einem Schild Ausschau, das ihnen den Weg zur Northern Line wies, während Aurelia, der gerade aufgefallen war, dass sie ihre Handschuhe vergessen hatte, leise vor sich hin fluchte. Die beiden Mädchen achteten nicht auf die plötzliche Enge in ihrer Brust, auf das Rasseln in der Kehle und auf die Schwere in den Beinen. Als würden sie an unsichtbaren Fäden hängen, die sie noch mit dem Jahrmarkt verbanden und sie zurückhalten wollten.
    Unter lautem Rufen »Türen aufhalten!« stürmten sie auf den Bahnsteig und schafften es gerade noch, mit dem Abfahrtssignal in die letzte Bahn nach Leigh-on-Sea zu springen, die von der Station Liverpool Street abfuhr. Erleichtert ließ sich Siv auf einen Sitz fallen und war im nächsten Moment eingeschlafen. Sie schnarchte die ganze Fahrt über leise vor sich hin, den Kopf im Schoß ihrer Freundin. Aurelia ignorierte die betrunkenen, pöbelnden Mitreisenden, die ihr »Na, Schätzchen!« zuraunten, durch den schmalen Gang stolperten und überall ihre Hamburger-Schachteln und angebissenen Fritten hinterließen.
    Am Ziel angekommen, atmete Aurelia so tief durch, dass die salzige Seeluft ihr in der Nase prickelte. Als der Zug davonfuhr, hatte sie das Gefühl, ihr Leben habe sich auf unerklärliche Weise verändert, und sie werde nie mehr so sein wie zuvor.
    Zur großen Überraschung der beiden Mädchen regten sich weder Aurelias Pflegeltern noch Sivs Stiefmutter und ihr Vater sonderlich über ihre späte Heimkehr auf.
    Aurelias Beziehung zu ihrem Pflegevater John Carter und dessen Frau Laura hatte schon immer in einer seltsamen Mischung aus Zuneigung und Distanz bestanden. Sie wusste, dass John ein enger Studienfreund ihres Vaters gewesen war und es ihn überrascht hatte, als er kurz vor dem Tod ihrer Eltern einen Brief erhalten hatte, in dem ihr Vater ihm die Patenschaft für sein neugeborenes Kind antrug. Als man nur wenige Tage später unter den hinterlassenen Papieren ihres Vaters eine Kopie dieses Briefes fand, wurde John gefragt, ob er das Baby großziehen wolle. Aurelia fand es eigenartig, dass er ihre Mutter überhaupt nicht gekannt hatte, war aber dankbar, dass er und Laura sie bei sich aufgenommen hatten. Dennoch hatte sie die beiden in ihrer gesamten Kindheit nie ganz als Mutter und Vater akzeptieren können, trotz der Adoption, zu der sie nicht verpflichtet gewesen wären. Da sie selbst keine Kinder hatten, hätten sie in Aurelia, wie sie ihr erzählten, immer einen unverhofften und höchst willkommenen Segen gesehen. Aurelia hatte nie das Bedürfnis verspürt, gegen ihre Adoptiveltern zu rebellieren, nicht einmal wenn es Spannungen gab. Vielleicht weil die beiden jedes Mal, wenn sie sie mit Fragen über ihre leiblichen Eltern bombardierte, ziemlich verschlossen, ja geradezu geheimniskrämerisch reagierten; als wollten sie etwas Wichtiges vor ihr verbergen. Das Einzige, das sie ihr verrieten, war, dass ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen waren, ohne in die Details gehen zu wollen. Aurelia nahm an, es sei ein Autounfall gewesen; und sie hoffte inständig, eines Tages die Bestätigung dafür zu bekommen, um damit

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