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Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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lächelte.
    Später verließ er den Saal und durchstreifte das Gebäude.
    Jedes Zimmer war in einem anderen Stil gestaltet. Er schritt über das Gras einer Lichtung, brach durchs Unterholz eines Waldes und staunte über den Einfallsreichtum und die Erfindungsgabe des- oder derjenigen, die diesen Ball organisiert hatten. Falls der fehlende Teil von Casanovas Manuskript noch existierte, falls es ihn überhaupt je gegeben hatte, so fand sich darin zweifellos die Beschreibung genau eines solchen Festes. Daran hatte er keinen Zweifel mehr.
    Er wurde Augenzeuge, wie die Zwillinge rituell den Schützen verführten, der heute Nacht als Zentaur verkleidet war.
    Er bewunderte das gewagte Schauspiel eines obszönen Ringkampfs, den sich die Seeziege des Steinbocks mit dem Wasserträger des Wassermanns lieferte.
    In den Schlafzimmern, die allesamt Erinnerungen an Vergangenes wachriefen – ob ein mit Wandteppichen ausgekleidetes Gemach aus Tausendundeiner Nacht oder die ungehobelte Rekonstruktion einer prähistorischen Höhle, bis hin zu einem seidenüberladenen sündigen Himmelbett aus dem Rokoko –, beobachtete er das Liebesspiel des Krebses und zahlloser anderer, auch mancher Zuschauer. In wundersamen Kombinationen paarten sich Anmut und Sünde, und schließlich waren seine Augen und Sinne vollständig befriedigt.
    Gegen Morgen spürte er, dass seine Manneskraft erneut erwachte, die Energie wiederkehrte und ihm das Blut heiß und lüstern durch die Adern floss. Er stromerte durch leere Räume und stieß unvermittelt auf eine eingelassene Tür.
    Das vergleichsweise kleine Zimmer dahinter war sparsam eingerichtet. Eines der wenigen Möbelstücke war ein Diwan in der Mitte, auf dem eine junge Frau saß. Wie um sie zu beschützen, stand rechts und links je ein livrierter Diener. Sie trug einen durchscheinenden Morgenmantel, der ihre zarten Kurven kaum verhüllte. Die Frau war zierlich, aber wohlproportioniert, ihre Haut weiß gepudert wie Schnee, im Gegensatz zu den scharlachrot geschminkten Lippen und Nippeln der kleinen Brüste.
    Als Ange eintrat, wurde ihm plötzlich wieder bewusst, dass er nackt war, und er versuchte mit einer hastigen Bewegung, seine deutlich sichtbare Erregung zu verbergen. Doch das liebreizende Lächeln der Frau entwaffnete ihn. Ihr Gesicht wirkte zugleich freundlich und reif, was seine rasenden Sinne augenblicklich beruhigte.
    Er hatte das Gefühl, sich für seine Nacktheit und sein Hereinplatzen entschuldigen zu sollen, doch ihm blieb dafür nicht die Zeit. Denn jetzt marschierten die Organisatoren des Balls herein. Ohne seine Anwesenheit auch nur zur Kenntnis zu nehmen, gingen sie zu der Frau auf dem Diwan.
    »Der Morgen dämmert«, verkündete einer von ihnen feierlich.
    Sie erhob sich.
    Ange blieb beinahe das Herz stehen.
    Denn ihr sanftes Lächeln wandelte sich, für ihn unerklärlich, unversehens von Freundlichkeit in Lust und Begehren.
    Mit den beiden Dienern an der Seite schritt sie auf die soeben Eingetretenen zu. Ohne Ange im Vorbeigehen auch nur noch einen einzigen Blick zu schenken, folgte sie den Organisatoren aus dem Zimmer.
    Ange schloss sich der Prozession an.
    Und sah mit an, wie die junge Frau beim ersten Tageslicht von einem Mann mit Löwenumhang genommen wurde. Ihr Gesicht zeigte dabei nichts als Lust und Entzücken.
    So schloss sich für Ange der Tierkreis.
    Er beobachtete noch, wie sie mit einem Bilderreigen gezeichnet wurde.
    Ange verließ Venedig am folgenden Tag, die Suche nach dem verschollenen Manuskript gab er auf. Den Ball aber sollte er nie vergessen.

5 DIE FABELHAFTEN LUFTAKROBATINNEN
    Hätte das Gebäude nicht an der belebten Straßenecke eines Vororts unweit der Hauptdurchgangsstraße gestanden, wo es die normalen Wohnhäuser, Geschäfte und Restaurants ringsum überragte, hätte man es für eine Burg halten können.
    »Sieht nicht gerade einladend aus«, meinte Siv zu Aurelia. Die beiden jungen Frauen sahen an den gewaltigen Backsteinmauern hoch und auf die noch höheren Ecktürme des riesigen Gebäudes, das sich bestimmt über zwei Blocks erstreckte.
    »Nein«, stimmte Aurelia zu. »Eher wie eine Mischung aus Kerker und Kirche.«
    »Oder wie eine Festung«, überlegte Siv.
    Weil beide sich nicht hineinzugehen trauten, trödelten sie eine Weile vor dem Eingang herum. Irgendwie wirkte das Bauwerk im Licht der untergehenden Sonne sogar besonders bedrückend, ganz als wäre es eher für die Nacht geschaffen.
    Siv hakte den Daumen in die Gürtellasche ihrer Jeansshorts und

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