Die Farbe der Liebe
wie mit einer Lupe vergrößert. Wie atmen sie bloß?, fragte er sich. Kleine Luftbläschen perlten ihnen über die Lippen und stiegen in regelmäßigen Abständen an die Oberfläche auf. Waren es Meerjungfrauen? Oder gar Fische, die durch unergründliche Zauberei menschliche Gestalt angenommen hatten?
Ange hörte, dass sich der Saal hinter ihm füllte und ein erwartungsvolles Raunen durch die Menge ging. Jetzt wäre er nicht mehr von seinem Platz weggekommen, selbst wenn er es gewollt hätte, so dicht umzingelt war er von den vielen Menschen.
Ehrfürchtiges Schweigen breitete sich aus, die Gäste im Saal waren verstummt, und nun hielten Hunderte von Menschen die Luft an.
Alle zugleich atmeten sie dann aus. »Ooh.«
Genau in der Mitte des Wasserbeckens öffnete sich eine Falltür, durch die sich nackte Männer ins Becken schlängelten. Ange zählte insgesamt zwölf Schwimmer, die aus unbekannter Tiefe wie Pfeile durchs Wasser schossen, die Oberfläche durchbrachen und wieder hinuntertauchten. Sie teilten sich in sechs Paare auf, und während die Frauen ihre Plätze nicht verlassen hatten und wie aufgespießte Schmetterlinge an der Glaswand des Wasserbeckens klebten, gesellte sich jeweils eines der Paare zu ihnen.
Jeder der Männer war von vollkommenem Körperbau und besaß ausgebildete Muskeln. Alle wirkten kraftvoll und entschlossen, als sie sich ihrer Beute näherten, die steifen Schwänze wie Speere auf die Jungfrauen gerichtet, die geopfert werden sollten.
»Die Widder«, flüsterte jemand Ange ins Ohr. »Aries.«
Ange wurde schwindlig. War etwas in dem süßen Wein gewesen? Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Fasziniert sah er dann, dass jedes Männerpaar im Wasser jeweils eine der Frauen zwischen sich nahm und daranging, sie mit schnellen, geübten Stößen von vorn und von hinten zu pfählen, bis schließlich alle achtzehn Körper sich in einem schamlosen Tanz der Wollust im Wasser wild und lüstern wanden und zuckten. Ja, er sah ein Ballett, einen wunderschönen und außergewöhnlichen Unterwassertanz, Körper im Einklang, die zusammenfanden, sich miteinander verbanden, sich im Takt vereinigten. Und durch die Bewegungen im Wasser entstanden stetige und gleichmäßige Wirbel. Ein Fest.
Anges Kehle war trocken und schmerzte.
»Bis zum Morgengrauen«, schallte ein Befreiungsschrei durch den Saal über die Köpfe hinweg und hallte über dem Becken wider.
Fast widerwillig wandte Ange den Blick von dem Schauspiel ab, er konnte jedoch nicht umhin zu bemerken, dass die Männer und Frauen um ihn herum sich entkleideten. Weiße, braune und olivfarbene Körper jeden Alters in allen erdenklichen Formen und Größen stellten sich stolz zur Schau. Kleidung wurde achtlos zu Boden geworfen, Korsetts hastig aufgeschnürt, Hemden vom Leib gerissen, Hosen rutschten herunter, Schuhe flogen beiseite.
Behutsam, aber nachdrücklich zupfte ihn jemand von hinten am Hemd, als wollte er ihm behilflich sein.
Im selben Moment fielen farbige Seile von der Decke des hohen Saals, deren Enden nur wenige Zentimeter über der schimmernden Wasseroberfläche des Beckens baumelten. Wie aus dem Nichts erschienen nackte Luftakrobaten und ließen sich daran herunter; sie alle trugen nur eine schmale Blumenkrone und goldfarbene Fußkettchen. Erst als sie mit den Zehen fast das Wasser berührten, hielten sie inne. In diesem Augenblick lösten sich die in ihrer Lust miteinander verschmolzenen Körper von der gläsernen Innenwand des riesigen Beckens und begannen einen gemächlichen Aufstieg zur Wasseroberfläche. Dort schlossen die nackten Akrobaten sie in ihre starken Arme und kletterten mit ihnen nach oben, wo sie den Blicken der Zuschauer entschwanden.
Während Ange noch tief Luft holte, spürte er, dass unbekannte Hände sich an seiner Taille zu schaffen machten, seinen Ledergürtel lösten und ihm mit sanftem Ruck die Baumwollhose herunterzogen. Er war jetzt nackt wie alle anderen auch, mit einem so steinharten Schwanz wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Was an sich schon erstaunlich war, denn er erinnerte sich nur undeutlich an die Freuden des Fleisches, die in seinem asketischen Gelehrtenleben kaum je eine Rolle gespielt hatten.
Zuerst glaubte er, das Wasserbecken sei jetzt leer, wobei es hinter der dicken Glaswand wogte und schäumte, als gierten ungezähmte Wirbel nach den nun verschwundenen Körpern. Doch obwohl Ange bereits ein bisschen benommen war von all dem vielen nackten Fleisch um ihn herum und ihn zudem sein steifer
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