Die Farbe der Liebe
Lauralynn für sie ausgesucht hatte. Als sie fertig war, drehte sie eine perfekte Pirouette auf Spitze, um sich in ihrer ganzen neuen Pracht zu zeigen.
Statt der dunklen Strumpfhose trug Siv jetzt weitmaschige Netzstrümpfe und noch knappere Shorts als sonst, die sich eng an ihre vom vielen Tanzen fest und knackig gewordenen Arschbacken schmiegten; vielleicht wurden sie auch ein bisschen angehoben und gespreizt. Außerdem war es ihr gelungen, sich in ein steifes, aber dehnbares Mieder zu zwängen, das mit Satinstreifen und Stretchspitze besetzt war; es quetschte ihre kleinen Brüste so flach, dass sie darin knabenhaft aussah; aber der tiefe viereckige Ausschnitt ließ ihre rosafarbenen Nippel herausblitzen.
Alles, was Siv trug, war cremefarben und mit Rissen, Brandflecken und Theaterstaub sorgfältig auf alt getrimmt. Dazu hatte Siv ihre violetten Doc Martens geschnürt. In den klobigen Schuhen sahen ihre netzbestrumpften Waden und Schenkel noch wohlgeformter aus als sonst.
Aurelia stockte der Atem. Und sie spürte überrascht, dass heiße Erregung in ihr aufwallte. So hatte sie beim Anblick einer Frau noch nie reagiert, und schon gar nicht bei Siv.
Um sich abzulenken, sah sie rasch weg und unterzog das für sie vorgesehene Outfit einer näheren Betrachtung. Auf den ersten Blick hatte das Kleid total durchsichtig ausgesehen, und so fasste sie es etwas zögerlich an den schmalen Trägern, um es sich in ganzer Länge anzuhalten. Der weiche, netzmaschige Stretchstoff war vorn mit winzigen Strasssteinen in einem schlangenförmigen Muster besetzt, dessen raffinierte Anordnung die intimsten Körperteile der Trägerin oder auch des Trägers verdeckte.
Erleichtert seufzte Aurelia auf. Da sie mit so heftiger Erre gung auf Sivs halb nackten Körper reagiert hatte, befürchtete sie nämlich, dass ihr Tattoo sich plötzlich zeigen könnte. Wie hätte sie dann bloß erklären sollen, was sich für jeden sichtbar unter dem transparenten Stoff abspielte?
»Mach schon, probier es an«, quengelte Siv. »Obwohl ich ehrlich gesagt nicht finde, dass es zu dir passt. Mit diesem ganzen Glitzerkram ist es ein bisschen effekthascherisch.«
»Es hat wohl einmal einer Londoner Burlesque-Tänzerin gehört«, erklärte Lauralynn. »Aber die Länge ist genau richtig für dich.«
Aurelia spürte, dass ihr unter den Blicken der beiden Röte ins Gesicht stieg; doch sie fügte sich und knöpfte so beiläufig wie möglich rasch ihre Bluse auf, zog sie aus und streifte das Kleid über den Kopf, ehe sie aus ihren Jeans schlüpfte.
Siv musterte sie mit kritischem Blick. »Mit BH sieht es nach nichts aus«, sagte sie. »Der muss weg. Und dein Slip auch, finde ich. Es zeichnet sich ab.«
Lauralynn nickte. Ihr spöttisch schräges und ein bisschen schelmisches Lächeln von vorhin hatte sich zu einem breiten, geradezu hinterhältigen Grinsen ausgewachsen.
Aurelia verzog das Gesicht, sträubte sich aber nicht weiter und streifte das Höschen ab, fasste dann nach hinten und hakte den BH auf. Nachdem sie sich die schmalen Träger über die Schulter gezogen hatte, hangelte sie nach dem Büstenhalter und zog ihn vorsichtig unter dem Kleid hervor.
Aurelia war es nicht gewöhnt, keinen BH zu tragen, die Stütze durch die Bügel war für sie alltägliche Selbstverständlichkeit. Höchstens allein in ihrem Schlafzimmer oder an einem besonders faulen Wochenende gönnte sie sich das Vergnügen, nur in ihrem alten Arcade-Fire-T-Shirt und in Boxershorts herumzulungern.
Der feinmaschige Netzstoff rieb an ihren Brüsten, und unwillkürlich wurden ihre Nippel hart.
»So kann ich nicht unter die Leute«, zischte Aurelia ihrer Freundin zu. »Ich bin quasi nackt.«
»Es ist nicht so gewagt, wie du denkst. Ehrlich. Schau mal in den Spiegel.«
Aurelia drehte sich um und schnappte beinahe nach Luft, als sie ihr Spiegelbild sah. Selbst in dem unbarmherzigen Licht des Lagerraums bot sie einen umwerfenden Anblick. Sie trug nur selten Schwarz, weil sie wegen ihrer Blässe fürchtete, darin wie eine Tote auszusehen. Doch der transparente Stoff ließ ihre Hautfarbe durchschimmern, was den Kontrast abmilderte. Und die glitzernden Strasssteine ließen ihre grünblauen Augen leuchten.
Aurelia war schon immer groß für ihr Alter gewesen, und es war ihr klar, dass in der Schulzeit die anderen nur die Angst, es mit Siv zu tun zu bekommen, davon abgehalten hatte, sie als Bohnenstange zu hänseln. Groß, mager und linkisch, wie sie damals war, hatte sie sogar die Tanzstunden
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