Die Farbe der Liebe
gefährlich zu halten, sich Walter an den Hals zu werfen; ein Psychopath war der blinde Bildhauer offenbar nicht.
»So so, mit Walter ist sie durchgebrannt …«, murmelte Lauralynn. »Er hat wirklich einen Riecher für solche Mädchen.«
Sie schien eher zu sich selbst zu sprechen.
»Einen Riecher für welche Mädchen?«, fragte Aurelia. »Seine Modelle?«
»Nicht ganz«, erwiderte Lauralynn. »Aber ich habe jetzt keine Zeit, dir das zu erklären. Und ich kann dir nicht sagen, wo Walter ist. Aber ich kann dich zu jemandem bringen, der das wahrscheinlich weiß. Du müsstest allerdings mitkommen. Jetzt gleich.«
Lauralynn schnappte sich ihre Tüten, drängte sich an Aurelia vorbei aus der Tür und bat sie, ein vorbeifahrendes Taxi heranzuwinken.
»Los, komm schon«, rief Lauralynn ihr zu, als sie die Wagentür öffnete und ihre Tüten hineinwarf.
Aurelia sprang auf die Rückbank, und das Taxi brauste davon. Dabei rutschte ihr der Rock die Oberschenkel hoch, was ihr peinlich war, weshalb sie sofort daran herumnestelte.
»Wegen mir musst du dich nicht so züchtig anstellen«, murmelte Lauralynn. Sie war viel direkter als alle Männer, mit denen Aurelia bisher geflirtet hatte, vielleicht mit Ausnahme des Fremden. Sofern es bei ihrem begrenzten, wenn auch intensiven Austausch überhaupt eine Flirtphase gegeben hatte, so hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Aurelia überlegte kurz, ob Lauralynn auch in anderer Hinsicht so viel Selbstsicherheit besaß. Bei diesem Gedanken meldete sich ein vertrautes Pochen.
Sie hatte es noch nie mit einer Frau versucht, diese Möglichkeit auch noch nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Bis jetzt. Den Rest der Fahrt pendelten Aurelias Gedanken hin und her zwischen ihren Sorgen um Siv, der Erleichterung, dass sie endlich eine Spur hatte, und dem Anblick von Lauralynns Brüsten in dem engen T-Shirt und den Metallringen, die so unverkennbar ihre beständig harten Nippel schmückten.
Ab und zu gingen ihr auch das Tattoo und der Fremde durch den Kopf, zusammen mit den Fantasien, die die Erinnerung an ihn regelmäßig wachriefen. Sie war sich sicher, dass der geheimnisvolle Walter und Sivs Verschwinden irgendetwas mit ihm zu tun hatten, und auch, dass er es war, auf den sich ihre Sehnsucht wirklich richtete. Aber sie hatte nun schon so lange nichts mehr von ihm gehört. Sie konnte nicht ihr Leben damit verbringen, auf einen Mann zu warten, den sie nicht einmal gesehen hatte!
Das Taxi fuhr über die Bay Bridge zurück nach Oakland, doch bevor es den Vorort erreichte, in dem Aurelia wohnte, machte es eine scharfe Kurve und setzte die beiden Frauen am Flughafen ab. Kurz entschlossen buchte Lauralynn ein zweites Ticket und bezahlte es, sosehr Aurelia auch protestierte und mit ihrer Kreditkarte wedelte.
Es war schon fast Mitternacht, als sie in Seattle ankamen, und es regnete. Aurelia fror und war hundemüde, als sie Lauralynns Wagen, einen Honda Civic, aus dem Parkhaus am Tacoma International holten. Während der ganzen Fahrt über die dunklen, regennassen Highways dachte sie nur an Lauralynns verführerisch schwingende Hüften und ihren Hintern und bewunderte sie dafür, wie sie scheinbar mühelos und ohne Schmerzen ständig in Stilettos herumlaufen konnte.
»Da wären wir«, hauchte ihr Lauralynn ins Ohr. Aurelia hob den Kopf. Da war sie doch tatsächlich eingeschlafen und mit dem Kopf an die Schulter der Blondine am Steuer gesunken. Lauralynn legte ihr eine warme Hand auf den Schenkel und streichelte sie. Aurelias Herz begann zu klopfen. »Nur noch ein kurzes Stück zu Fuß. Ich habe Tristan angerufen und ihm gesagt, wir brauchen was Warmes. Er macht die beste Schokolade weit und breit. Da wird dir garantiert wieder warm.«
Lauralynn und Tristan teilten sich eine Hotelsuite, machten aber nicht den Eindruck, ein Paar zu sein. Aurelia beobachtete sie dabei, wie sie in der Kochnische und am Küchentresen hantierten. Hausarbeit schien nicht ihre Sache zu sein. Lauralynn hatte immer noch ihre High Heels an, und trotz ihrer lässigen Aufmachung in T-Shirt und Jeans wirkte sie wie eine Frau, die es gewöhnt war, bedient zu werden, nicht wie eine, die andere bewirtete.
Man brauchte sich nur anzuschauen, wie ungeschickt Lauralynn ein Päckchen Zucker aufriss und ihn dabei großzügig auf dem Teppich verteilte, um zu erkennen, dass sie nicht die geborene Hausfrau war. Die beiden gaben sich ganz offensichtlich Mühe, Aurelia zu umwerben. Tristan sah auch viel zu gut aus, um sich in
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