Die Farbe der Liebe
einer Küche heimisch zu fühlen. Er war groß, sonnengebräunt und muskulös und bewegte sich mit einer lässigen Trägheit, die erkennen ließ, dass er am liebsten auf einem Diwan ruhte und sich von Sklaven alle Wünsche erfüllen ließ.
»Ihr arbeitet zusammen?«, fragte Aurelia. Sie wollte unbedingt vor dem Schlafengehen etwas über Siv erfahren, ehe Tristan verschwand und sie ihn nicht mehr ausquetschen könnte.
»So kann man das eigentlich nicht nennen«, sagte Tristan und reichte ihr eine Espressotasse, gefüllt mit einer aromatischen braunen Flüssigkeit.
Aurelia nahm einen Schluck. Es war Schokolade, heiß und zähflüssig, mit einem Hauch von Gewürzen. Sogleich spürte sie, dass ihr wärmer wurde, und ein angenehmes Gefühl durchströmte sie von Kopf bis Fuß. »Aber das ist doch … Ich glaube, das habe ich schon mal getrunken«, sagte sie.
»Jeder hat schon mal Schokolade getrunken«, erklärte Lauralynn und ließ sich neben Aurelia nieder, bevor Tristan den Platz ergattern konnte. »Aber seine ist etwas ganz Besonderes, das muss man ihm lassen.«
Aurelia sah Tristan lange und forschend an. War es möglich, dass er der Fremde war? Der Mann, nach dem sie sich schon so lange sehnte? Nein, das konnte sie sich doch nicht vorstellen. Er war attraktiv, ja sogar schön. Aber es war eine eher verunsichernde Art von Attraktivität: Etwas Körperliches wallte in ihr auf, während zugleich irgendwo in ihrem Hirn ein Warnlämpchen aufflackerte. Irgendetwas Dunkles, Unheimliches umgab ihn. Andererseits aber sprach sie dieses Dunkle auch an, als ob es zu etwas Größerem gehörte, zu etwas, von dem er ein Teil war. Nein, das war nicht der Mann, dem sie sich hingegeben hatte, von dem sie sich bereitwillig hatte nehmen lassen. »Ihn« würde sie doch ganz gewiss auf Anhieb und von Weitem erken nen. Wäre der Mann anwesend, der an jenem Abend solche Leidenschaft in ihr geweckt hatte und der seitdem durch ihre Tagträume geisterte, müsste sie nicht erst lange überlegen.
»Weißt du, wo Siv ist?«, fragte sie ihn ohne Umschweife.
»Ich weiß, wo Walter ist«, antwortete Tristan. »Zumindest weiß ich, wo er übermorgen Abend sein wird. Und falls deine Freundin bei ihm ist, wie du annimmst, dann wird sie auch dort sein, und ich kann dir helfen, sie zu finden.«
»Was meinst du damit, dass sie dort sein wird? Wo denn?«, brummte Aurelia. Sie hatte diese Geheimniskrämerei satt.
»Bei einer sehr speziellen Party«, sagte Lauralynn. »Beim Ball. Für uns der Höhepunkt des Jahres.«
»›Für uns‹? Wer ist ›uns‹?«
»Am besten schläfst du dich erst einmal aus. Dann erzählen wir dir alles«, besänftigte sie Lauralynn.
Tristan nahm Aurelia die Tasse ab. Sie murmelte ihm einen Dank hinterher, aber er war schon wieder am Küchentresen, und sie saß allein mit Lauralynn auf der Couch. Die warme Hand, die auf dem Rücksitz des Taxis so zärtlich auf ihrem Schenkel geruht hatte, drückte ihn nun etwas fester. Aurelia erschauerte, als sie spürte, dass sich Lauralynns Fingernägel in ihre Haut gruben, direkt am Saum ihres Slips.
»Ich sollte mal unter die Dusche …«, sagte Aurelia schläfrig. Sie trug immer noch die Klamotten, in denen sie zu ihrem Abenteuer mit dem Tom-Sawyer-Double aus der Bibliothek aufgebrochen war, und das schien bereits eine Ewigkeit her zu sein.
»Du kannst mein Bad benutzen«, erwiderte Lauralynn, und schon spürte Aurelia, dass die samtweichen Lippen von Lauralynn sich auf ihre senkten und ihre warme, feuchte Zunge sich in ihren Mund schlängelte.
Lauralynn zog sie hoch und führte sie ins angrenzende Schlafzimmer. Das Letzte, was Aurelia sah, ehe die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, war, dass Tristans Blick sich tief in ihre Augen bohrte. War er sauer? Oder einfach nur enttäuscht?
7 Die Insel der Freuden
»Das Ganze ist äußerst exklusiv«, sagte Tristan. »Aber vielleicht triffst du deine Freundin trotzdem dort. Es sollen viele Zirkusleute und junges Volk aus der Kunstszene kommen, habe ich gehört. Ein ganz großes Ereignis. Es findet nur einmal im Jahr und immer an einem anderen Ort statt. Ich war mal auf einem, das in einer Tropfsteinhöhle stattfand. Die Hälfte der Gäste kam als Fledermaus verkleidet, und manche schienen fliegen zu können. Eine verrücktere Party wirst du wohl nie erleben.«
»Es wird dir gefallen«, versicherte ihr auch Lauralynn. Sie saßen im überdachten Innenhof ihres Hotels in der Nähe des Pike Place Market bei einer Tasse Kaffee. So guten
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