Die Farbe der Liebe
das auch anmerken, was Aurelia sehr amüsierte. Lauralynn hatte ihr zugezwinkert, offenbar zufrieden damit, Tristans Kostüm getoppt zu haben.
Wie versprochen, dauerte die Überfahrt zur Insel nur eine knappe Stunde – was Aurelia mit Erleichterung aufnahm, da sie zwar am Meer aufgewachsen, aber nicht besonders seefest war. Sie hatte sogar gefürchtet, sich übergeben zu müssen und womöglich ihr Kleid zu ruinieren.
Als die Fähre anlegte, hörte sie auf dem Deck über sich Stimmen. Anweisungen wurden gerufen, und das Getrappel von Schritten nahm zu. Sie hatten unten eng beieinander in einer Ecke gesessen und geschwiegen, obwohl Aurelia vor Fragen fast platzte.
Lauralynn stand auf und nahm sie wieder an die Hand. Noch immer mit verbundenen Augen, folgte ihr Aurelia, wobei sie aufpassen musste, nicht über Stufen zu stolpern. Oben an Deck hatte sie den Eindruck, dass es Abend geworden war. Es war frisch, und die Luft war von allerlei Düften erfüllt – Seeluft mischte sich mit einer betörenden Vielfalt lieblicher Aromen von Gewürzen, Früchten und anderen Gerüchen, die ihre Sinne reizten. Es kam ihr vor, als befände sich diese Insel nicht im Bereich der normalen Zeit und gehorchte nicht den gewohnten Gesetzen der Menschheit, sondern wäre in einen ganz eigenen Schimmer und Duft getaucht.
Aurelia hatte jedoch nicht die Zeit, sich näher mit der Umgebung zu befassen, denn Lauralynn ließ ihre Hand los, und jemand flüsterte ihr ins Ohr: »Willkommen auf der Insel der Freuden!«
Tristan.
»Wir sehen uns später, Süße.« Das kam von Lauralynn. »Ich muss mich jetzt um ein paar Dinge kümmern.«
Aurelia hörte freudiges Gemurmel der anderen Passagiere und das Rauschen der Brandung. Eine Hand, die wohl Tristan gehörte, griff nach ihr und führte sie über das Deck. Dann ging sie mit seiner Hilfe unsicher über die Gangway, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Endlich auf der Insel angekommen, spürte sie, dass andere Gäste sie streiften, und hörte sie erleichtert aufseufzen, da sie nun ihr Ziel erreicht hatten.
Tristan nahm ihr die Augenbinde ab.
Die Insel war in tiefe Dunkelheit gehüllt, und Aurelia, die nur einen Steinwurf vom Meer entfernt stand, sah keinen Hafen, kein Haus – lediglich einen Kieselstrand, die gezackten Umrisse einiger vom Meer ausgewaschener Felsen und auf der anderen Seite viele Bäume. Aurelia fröstelte.
»Wo sind wir hier?«, fragte sie Tristan mit einer Spur von Angst in der Stimme. Dass die Insel unbewohnt war, hatte sie nicht erwartet.
»Keine Sorge«, antwortete er. Viele der anderen Gäste um sie herum betrachteten das dunkle Eiland ebenso verdutzt wie sie.
»Dass wir uns für diese Insel entschieden haben, hat seinen Grund. Hier sind wir ungestört.« Tristan griff nach Aurelias Arm. Er trug weiße Lederhandschuhe.
Sie ging mit ihm. Die anderen Gäste, das sah sie, wurden ebenfalls von Betreuern geführt, und zögerlich schritten sie zwischen den Bäumen hindurch. Und schon wurden sie mit dem Anblick schimmernder Lichter belohnt, deren Farben miteinander wetteiferten, Grün und Rot und alle Schattierungen des Regenbogens, wie Irrlichter in der Nacht.
Das gab ihnen allen neuen Mut. Schnelleren Schrittes gingen sie hintereinander auf den erleuchteten Fleck zu.
Als sie näher kamen, sahen sie, dass es eine Waldlichtung war, an deren Rand unregelmäßig verstreut flache Häuschen standen. Eine Welt für sich. Als sie die ersten Lichter hinter sich gelassen hatten, wurde es wie durch ein Wunder plötzlich wärmer, und der Abendwind, der offenbar machtlos war gegen die Wärme Hunderter Glühbirnen mitten im Wald, hatte sich gelegt.
Fetzen sanfter Musik drangen aus der Ferne an ihr Ohr, Dampforgeln klimperten, und melancholisch gedehnte Geigenklänge ertönten betörend zwischen den Bäumen hindurch. Die begeisterten Gäste um Aurelia herum gaben ihren Gänsemarsch auf und liefen nun in fröhlicher Selbstvergessenheit dem Fest und dem Licht entgegen, das so hell war, dass es den Nachthimmel überstrahlte.
Aurelia wollte ihnen hinterhereilen und Lauralynn suchen. Vielleicht würde sie ja auch Siv finden. Doch Tristan hielt sie nach wie vor fest an der Hand, und sie mussten stehen bleiben, als die anderen Gäste an ihnen vorbeidrängten. Wo kamen sie nur alle so plötzlich her? Offenbar waren sie mit verschiedenen Fähren auf die Insel gebracht worden, vielleicht sogar von Orten an der gesamten Küste.
Aurelias Unsicherheit schwand von Minute zu
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