Die Farbe der Liebe
Spur von Ehrfurcht, die Lauralynn gefehlt hatte. Sie war wilder gewesen, fordernder, auf angenehme Weise selbstsüchtiger. Tristan hingegen war fast beflissen, als würde er sich zurückhalten und unbekannten Regeln folgen.
Warum muss ich nur immer analysieren?, fragte sich Aurelia. Es war albern, Lauralynn und Tristan miteinander zu vergleichen. Ihre Erfahrungen mit den beiden waren völlig unterschiedlich.
Seine Zunge tanzte geschickt und forschend über die feuchten Lippen ihrer Möse, liebkoste ihre Ränder, zuckte mal hierhin mal dorthin, erkundete sie, weckte Lust, spielte mit ihren Falten und nagte an ihnen, bis Aurelia nicht mehr zwischen Schmerz und Lust unterscheiden konnte.
Sie schloss die Augen und gab sich ganz ihren Empfindungen hin. Tristan trieb sie rasch und gekonnt auf den Höhepunkt zu, als begleitete er ihre Lust auf dem Weg von ihrer Möse über ihr Herz in die Fingerspitzen bis in die Magengrube und von dort zurück ins Herz.
Sosehr Aurelia seine liebevollen Zuwendungen auch genoss, empfand sie doch eine Spur von Bedauern. Denn tief in ihrer Seele wusste sie, dass er nicht aus selbstloser Liebe handelte, sondern ein ausgefeiltes Ritual erfüllte, das einen weiteren Schritt zu ihrer Erweckung bedeutete. Sie war nicht für ihn bestimmt und auch nicht für Lauralynn, die in der vergangenen Nacht so erfahren mit ihr gespielt hatte. Gegen alle Logik glaubte Aurelia, dass es noch einen anderen gebe. So musste es sein. Schon bald. Einen, der jede Note und jede Melodie kannte, die sie spielte oder die man auf ihr spielen konnte. Ein Virtuose. Der Eine. Der all ihre Fragen beantworten würde – über den Ball, über die Tattoos, über diese seltsame Reise, die sie wie an unsichtbaren Fäden gezogen hierhergeführt hatte.
Sie kam mit einem tiefen, lustvollen Seufzer.
Und langsam kehrten ihre Sinne zurück. Ihr Körper war weich, ihre Anspannung gelöst, denn die vom Orgasmus aufgewühlte Energie hatte ihren Geist vorübergehend leer gefegt. Und als ihr Bewusstsein von jenem kurzen, unvergleichlichen Moment aus dem Nichts zurückkehrte, nahm Aurelia auch wieder ihre Situation wahr – das abgelegene Häuschen, den Wald ringsumher, das fröhliche Rufen der Festgäste, das durch die Bäume bis zu ihr schallte, die außergewöhnliche Helligkeit des bunten Lichterhimmels, die Insel.
Tristan kniete noch vor ihr und hatte den Kopf gesenkt, ihr Kleid wallte wieder um ihre Beine und bedeckte das noch immer in ihr wütende Feuer. Und ohne dass sie nachsehen musste, wusste sie, dass das Herz nahe ihrer Möse nun hell leuchtete.
Ganz unwillkürlich hob sie wie gewohnt die Hand, um ein paar Haarsträhnen zurückzustreichen, die ihr in die Stirn gefallen waren.
Erschrocken stellte sie fest, dass sie nun ein weiteres Herz hatte. Es war kleiner und nicht so auffällig, sah aber genauso aus wie ihr erstes und das von Tristan und befand sich auf der Innenseite ihres schmalen Handgelenks. Es pulsierte nicht und glich einer jahrealten Tätowierung. Verstört und ohne zu verstehen starrte Aurelia auf das neue Zeichen, das sich zum ersten Mal auf ihrer bleichen Haut zeigte.
»Bring mich zum Ball«, sagte sie.
Hundert Schritte waren es von der Veranda des Waldhäuschens. Aurelia zählte sie, als befände sie sich in einem Märchen und müsste, um den Zauber nicht zu brechen, einem ganz bestimmten Ritual folgen. Hundert Schritte bis zu den Bäumen, hinter denen ein wahres Lichtermeer leuchtete, und davor tiefste Finsternis, die wie ein Burggraben das Spektakel abschirmte. Und dann erwachte die Welt zum Leben.
Musik. Lachen. Zarter Duft von Gewürzen, Räucherwerk und Parfüms durchzog die Luft in einer wilden, mitreißenden Mischung.
Dazu die Stimmen von Männern und Frauen, mal lauter, mal leiser, verlockend wie Sirenengesang.
Aurelias Herz raste. Sie sah sich um und bemerkte, dass Tristan nicht mehr an ihrer Seite war. War er einfach nur zurückgeblieben, oder war es ihr seit ewigen Zeiten vorherbestimmt, dass sie die nächste Etappe dieses Abenteuers allein antreten musste?
Eine Melodie klang majestätisch durch die Baumkronen und senkte sich auf sie nieder. Schwungvolle kristallklare Geigenklänge liebkosten ihre Sinne und reizten sie zugleich. Aurelia kannte das Stück, und nach kurzem Überlegen fiel ihr ein, wie es hieß: Die vier Jahreszeiten von Vivaldi. Allerdings wusste sie nicht, welche der Jahreszeiten gerade gespielt wurde. Die göttliche Musik schwoll an, wurde ruhiger, schwebte dahin und
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